Philosophische Aspekte der modernen Physik
und ihre Beziehung zur fernöstlichen Philosophie

 

schriftliche Hausarbeit zur Ersten Staatsprüfung
für die Laufbahn der Grund- und Hauptschullehrerinnen und -lehrer
in Schleswig-Holstein

 

Die Arbeit umfasst 88 Seiten, die hier als PDF-Datei zu lesen sind.
Das Inhaltsverzeichnis ist unten zu sehen und daher nicht in der Arbeit enthalten.

 

Inhaltsverzeichnis

1 Die moderne Physik – eine Naturwissenschaft ohne philosophische Basis?

2 Das kartesianisch-newtonsche Weltbild
2.1 Das Weltbild René Descartes´
2.2 Das Weltbild Isaac Newtons
2.3 Verschmelzung der Weltanschauungen Descartes´ und Newtons – das heutige Weltbild

3 Zur Geschichte der modernen Physik
3.1 Die Entdeckung des Planckschen Wirkungsquantums – h
3.2 Albert Einstein und die Doppelnatur des Lichts
3.2.1 Die Wellentheorie des Lichts
3.2.2 Die Teilchentheorie des Lichts
3.3 Die Anerkennung der Doppelnatur des Lichts als physikalische Realität

4 Erkenntnisse der modernen Physik
4.1 Die Frage der Kausalität und das Unbestimmtheitsprinzip
4.2 Das Komplementaritätsprinzip
4.3 Die Quantenwelt und die kartesianische Trennung des Ich und der Welt
4.4 Die Kopenhagener Deutung
4.5 Das große Geheimnis der Quantenphysik
4.5.1 Das Doppelspaltexperiment
4.5.2 Interpretation des Doppelspaltexperiments
4.5.3 Geisterelektronen
4.6 Das EPR-Paradoxon
4.6.1 Die Widerlegung des EPR-Paradoxons
4.6.2 Was bedeutet das?
4.7 Die Einsteinsche Relativitätstheorie
4.7.1 Die Relativität des Ortes
4.7.2 Die Relativität der Zeit
4.7.3 Das Raum-Zeit-Kontinuum

5 Fernöstliche Philosophien
5.1 Hinduismus
5.1.1 Die Einheit aller Dinge
5.1.2 Die Beziehung zwischen Gott und Mensch
5.2 Buddhismus
5.2.1 Der Weg des Buddha
5.2.2 Die Lehre Buddhas
5.2.2.1 Das Leiden
5.2.2.2 Die Ursache des Leidens
5.2.2.3 Die Beendigung des Leidens – das Nirvana
5.2.2.4 Der Weg ins Nirvana
5.3 Taoismus
5.3.1 Der Glaube der Taoisten
5.3.2 Yin und Yang
5.4 Zen
5.4.1 Worum es sich beim Zen handelt
5.4.2 Die Praxis des Zen

6 Die Parallelen zwischen der modernen Physik und fernöstlichen Philosophien
6.1 Die Kopenhagener Deutung der Quantentheorie und ihre Beziehung zur fernöstlichen Philosophie
6.2 Die Überwindung der Gegensätze
6.3 Der Teilchen-Welle-Dualismus als ein quantentheoretisches Koan
6.4 Die Dynamik des Universums
6.5 Das expandierende Universum

7 Das holistische Weltbild – eine Chance für die Menschheit?

8 Literaturverzeichnis

9 Verzeichnis der Abbildungen

1 Die moderne Physik – eine Naturwissenschaft ohne philosophische Basis?

In unserem Jahrhundert sind zwei physikalische Theorien entstanden, die uns gezwungen haben, unsere Vorstellungen von Realität, Raum und Zeit, aber auch von Ursache und Wirkung zu überdenken. Auf der einen Seite handelt es sich hierbei um die Relativitätstheorie und auf der anderen um die Quantentheorie. Diese beiden Theorien kann man jedoch nicht als Fortführung der vergangenen physikalischen Entwicklung seit Galilei und Newton beschreiben. So schreibt Heisenberg:

„Die Veränderungen der Wirklichkeitsvorstellung, die die Grundlage zum Verständnis der heutigen Quantentheorie bilden, können nicht einfach eine Fortsetzung der vergangenen Entwicklung genannt werden. Hier scheint es sich um einen wirklichen Bruch in der Struktur der Naturwissenschaft zu handeln.“ [11] S. 15

Dabei wissen aber die meisten Menschen unserer Zeit gar nichts oder nur sehr wenig über diese beiden Theorien. In der Schule werden diese beiden Theorien kaum behandelt und wenn überhaupt, dann nur kleine Ausschnitte, aber die philosophischen Konsequenzen, die sich aus diesen Theorien ergeben, werden völlig vernachlässigt. Wir leben in einer Zeit, die ein Weltbild besitzt, das in vielen Bereichen überholt ist, doch dieser Umstand ist den meisten Menschen nicht bewußt. Sie wenden zwar Errungenschaften der Technik an, die auf modernen physikalischen Erkenntnissen beruhen, und leben mit ihnen, doch welche physikalischen Gesetzmäßigkeiten und Erkenntnisse die Basis dieser Technik darstellen, wissen nur sehr wenige.

„Aus diesen Gründen ist es vielleicht keine unwichtige Aufgabe, zu versuchen, die Gedanken der modernen Physik in einer nicht zu wissenschaftlichen Sprache zu erörtern, ihre philosophischen Folgen zu studieren und sie mit einigen der älteren Traditionen zu vergleichen.“ [11] S. 14

Dieser Gedanke Heisenbergs stellt ein Anliegen dieser Arbeit dar, doch soll in dieser Arbeit noch weitergegangen werden. Heisenberg vergleicht in seinem Buch ‘‘Physik und Philosophie’‘ die Quantentheorie und ihre philosophischen Konsequenzen mit verschiedenen Teilbereichen der abendländischen Philosophie seit Descartes. Dabei beschreibt er, wie die Quantentheorie neue Ansichten über philosophische Fragen nach Ursache und Wirkung, Realität und Raum und Zeit hervorbringt. Doch kommt er zu keiner globalen Weltanschauung, die diese neuen Ansichten in ein zusammenhängendes, in sich schlüssiges System bringt. Ein solches System gibt es bis heute nicht.

Selbst Einstein, der Begründer der Relativitätstheorie, hielt in einigen Bereichen an den klassischen Vorstellungen fest und wollte die philosophischen Konsequenzen, die die Quantentheorie mit sich brachte, nicht akzeptieren. Für ihn blieb die Außenwelt durch strenge Gesetzlichkeit determiniert, was für ihn die Voraussetzung für die Erforschung der Natur war. Der statistische Charakter, der in der Quantentheorie steckt, und ihre Abkehr vom klassischen Realitätsbegriff, ließen ihn die Quantentheorie als unvollständige Beschreibung der Natur ansehen, die seiner Meinung nach nicht das Recht hätte, den Anspruch zu erheben, die Grundlage der Naturerforschung zu sein. (vgl. [21] S. 123)

Vielleicht ist gerade der tiefe Bruch mit einigen Vorstellungen, die auch wir noch besitzen, so groß, daß es die Menschheit noch nicht geschafft hat, diese neuen Ansichten in einem neuen Weltbild zu fassen. Dabei existiert aber die Idee, daß das, was durch die moderne Naturwissenschaft entdeckt wurde, schon seit Jahrtausenden die Grundlage der fernöstlichen Philosophien darstellt.

Fritjof Capra, ein Atomphysiker unserer Zeit, hat als erster mehrere Parallelen zwischen den fernöstlichen Weltbildern des Hinduismus, Buddhismus, Taoismus und Zen-Buddhismus und wissenschaftlichen Erkenntnissen der Quanten- und Relativitätstheorie beschrieben. Im Gegensatz zu Heisenberg soll in dieser Arbeit nicht die Beziehung der modernen Physik zu unserer abendländischen Philosophie beschrieben werden, sondern es sollen Parallelen zu den Aussagen der fernöstlichen Philosophien aufgezeigt werden. Vielleicht benötigen wir gar kein neues Weltbild, denn vielleicht finden wir gerade in der Philosophie des fernen Ostens ein System, das als philosophische Grundlage für die moderne Physik dienen kann.

2 Das kartesianisch-newtonsche Weltbild

Das heute vorherrschende, westliche Weltbild und Denken geht auf zwei große Persönlichkeiten des 16. und 17. Jahrhunderts zurück. Dabei handelt es sich um René Descartes und um Isaac Newton.

2.1 Das Weltbild René Descartes´

René Descartes gilt als Begründer der modernen Philosophie, die sich auf einen strengen Determinismus begründet. Das, was für Descartes als Wahrheit anzusehen war, mußte mit der Klarheit mathematischer Beweisführung ausgedrückt werden können. Für ihn war die ‘‘Sprache der Natur’‘ die Mathematik, und er war davon überzeugt, daß man alle Naturphänomene auf mathematische Gesetze zurückführen könne. Somit war für ihn Wissenschaft gleichbedeutend mit Mathematik.

Descartes entwickelte eine wissenschaftliche Methode, die auch heute noch eine bedeutende Rolle in vielen Wissenschaftszweigen spielt. Er fing damit an, alles zu bezweifeln, was er in der Natur vorfand. Das ging soweit, daß er sogar den Besitz seines Körpers anzweifelte. Er kam zu dem Punkt, an dem er erkannte, daß er sich selbst durch sein Denken ausdrückte, woraus dann auch sein berühmter Ausspruch ‘‘Cogito ergo sum!’‘ – Ich denke, also bin ich! – entstand. Aus dieser Erkenntnis schloß er, daß das Wesentliche der menschlichen Natur im Denken begründet liege und er entwickelte eine Methode, mit deren Hilfe der Mensch in die Lage versetzt werden sollte, die Grundgesetze der Natur zu entschlüsseln. Diese Methode Descartes´ war sehr analytisch und reduktionistisch und bestand darin, alle Probleme in Stücke zu zerlegen und diese in eine logische Ordnung zu bringen. Hat man erst einmal erkannt, wie die Einzelteile funktionieren, aus denen sich das Problem zusammensetzt, kann man ihr Zusammenwirken erkennen und somit das Problem aus der Summe seiner Einzelteile erklären.

Descartes´ Naturanschauung gründete sich auf die strikte Trennung von Geist und Materie. Der Geist war nach Meinung  Descartes´ in der Lage, durch die von ihm begründete, reduktionistische Methode, die Ordnung des Universums zu durchdringen, die Gesetzmäßigkeiten, denen die Natur unterlag, aufzuschlüsseln und deren mathematische Form zu erkennen. Das materielle Universum verglich Descartes mit einer großen Maschine, die streng nach mechanischen Gesetzmäßigkeiten funktioniert. Er war davon überzeugt, alles in der Welt der Materie könne mit den Begriffen der Anordnung und Bewegung seiner Teile erklärt werden. Er kam zu dem Schluß, daß alle Aspekte komplexer Phänomene verstanden werden könnten, wenn man sie auf ihre Bestandteile reduziert, die alle mechanischen Gesetzmäßigkeiten unterliegen.

Descartes wurde von dem Willen getrieben, eine allumfassende Naturwissenschaft zu begründen und dehnte somit seine mechanistische Anschauung von der Materie auch auf komplexe Organismen wie Pflanzen, Tiere und sogar den Menschen aus. Für ihn waren diese Organismen nichts weiter als komplizierte Maschinen, deren biologische Funktionen auf einfache mechanische Gesetze reduziert werden könnten.

Auch wenn Descartes selbst die der Natur zugrunde liegenden Gesetze nicht entschlüsseln konnte, so hat doch seine Anschauung der Welt die nach ihm kommenden Wissenschaftler bis heute stark beeinflußt und seine reduktionistische Methode wird noch heute in den Bereichen Biologie, Medizin, Wirtschaftswissenschaften usw. angewendet. (vgl. [18] S. 76-129)

2.2 Das Weltbild Isaac Newtons

Descartes hatte eine philosophische Basis geschaffen, die einen streng deterministischen Charakter besaß und die als Ideal aller Wissenschaften angesehen wurde. Doch bis zum Erscheinen Isaac Newtons auf der wissenschaftlichen Weltbühne war dieses philosophische Gerüst noch nicht mit exakten, wissenschaftlichen Erkenntnissen gefüllt. Newton entwickelte eine weitläufige physikalische Naturerklärung,

„…die wie ein mächtiger Fels die ganze Wissenschaft trug und der Naturphilosophie für fast drei Jahrhunderte eine feste Basis gab.“ [2] S. 52 f.

Newtons Rahmen, in dem alle physikalischen Vorgänge abliefen, war der dreidimensionale Raum. Dieser war absolut, immer ruhend und unveränderlich. Newton sagte:

„Der absolute Raum bleibt vermöge seiner Natur und ohne Beziehung auf einen äußeren Gegenstand stets gleich und unbeweglich. Der relative Raum ist ein Maß oder ein bewegliches Teil des erstern, welcher von unseren Sinnen durch seine Lage gegen andere Körper bezeichnet und gewöhnlich für den unbeweglichen Raum genommen wird.“ [15] S. 25

Alle Veränderungen der physikalischen Welt beschrieb Newton mit Hilfe einer weiteren Dimension – der Zeit, welche ebenfalls absolut war und in keinerlei Verbindung zu der Welt der Materie stand. Die Zeit floß gleichförmig von der Vergangenheit durch die Gegenwart in die Zukunft. Er drückte dies so aus:

„Die absolute, wahre und mathematische Zeit verfließt an sich und vermöge ihrer Natur gleichförmig, und ohne Beziehung auf irgend einen äußeren Gegenstand.“ [15] S. 25

Newtons Elemente, die sich in dem absoluten Raum und der absoluten Zeit bewegten waren Masseteilchen, die er in seinen mathematischen Gleichungen in Form von ‘‘Massepunkten’‘ behandelte. Diese Massepunkte sah Newton als sehr kleine, feste und unzerstörbare Objekte an, aus denen alle Materie bestand. Dieses Modell beruhte auf dem Unterschied zwischen Fülle und Leere, zwischen Materie und Raum. Die Teilchen bewahrten in diesem Modell immer ihre Masse und Form. In diesem Modell beschrieb Newton auch die Kraft, die zwischen den einzelnen Masseteilchen wirkt, welche von der Masse und der Entfernung der Masseteilchen abhängt, zwischen denen sie wirkt. Diese Kraft ist die Schwerkraft bzw. die Anziehung der Massen, die für Newton in einem festen Zusammenhang mit den Körpern stand, auf die sie wirkte und zwar augenblicklich und über weite
Entfernungen. Die Ursache der Teilchen und der zwischen ihnen wirkenden Kraft untersuchte Newton nicht. Er sah sie als von Gott geschaffen an, und sie waren für ihn damit nicht Gegenstand weiterer Analysen.

„Alle physikalischen Erscheinungen werden in der newtonschen Mechanik auf die Bewegung von Massepunkten im Raum reduziert, die durch ihre gegenseitige Anziehung, d.h. durch die Gravitation, verursacht werden.“ [2] S.54

Newton mußte völlig neue mathematische Techniken entwickeln, um die Wirkung der Gravitation auf einen Massepunkt mathematisch zu beschreiben – er entwickelte die Differentialrechnung. Die von Newton aufgestellten Bewegungsgleichungen bilden die Grundlagen der klassischen Mechanik, die als feste Gesetze betrachtet werden, nach welchen sich Massepunkte bewegen. Man dachte, daß sie auf alle in der physikalischen Welt beobachteten Veränderungen anzuwenden wären.

Aus Newtons Sicht hat Gott am Anfang die Masseteilchen, die Kraft zwischen ihnen und die Grundgesetze der Bewegung erschaffen. Auf diese Art wurde das ganze Universum in Bewegung gesetzt und lief von da an weiter wie eine Maschine, gelenkt von unveränderlichen Gesetzen. (vgl. [2] S. 62-70)

2.3 Verschmelzung der Weltanschauungen Descartes´ und Newtons – das heutige Weltbild

Die Weltanschauungen Descartes´ und Newtons sind eng miteinander verwandt. Beide gründen auf einen strengen Determinismus und gehen davon aus, daß das gesamte Universum eine gigantische Maschine ist, die nach mechanischen Gesetzmäßigkeiten funktioniert. Die philosophische Grundlage dieses strengen Determinismus war die von Descartes eingeführte grundsätzliche Trennung des Ich und der Welt. Daraus folgerte man, daß die Welt objektiv beschrieben werden könne, d.h. ohne jemals den menschlichen Beobachter zu erwähnen.

„Alles was geschah, hatte eine definitive Ursache und eine definitive Wirkung, und die Zukunft eines jeden Teils des Systems konnte im Prinzip mit absoluter Sicherheit vorausgesagt werden, wenn sein Zustand zu irgendeiner Zeit in allen Details bekannt war.“ [2] S. 54

Dieser Gedanke wurde am deutlichsten von dem französischen Mathematiker Pierre Simon Laplace zum Ausdruck gebracht:

„Wenn es möglich wäre, für einen gegebenen Augenblick alle Kräfte zu kennen, von denen die Natur bewegt ist, und auch die Lage der Wesen zu wissen, aus denen sie besteht, und wessen Geist zudem umfassend genug wäre, diese Erscheinungen einer Analyse zu unterziehen, der könnte die Körper des Universums und die der leichtesten Atome in ein und dieselbe Formel einschließen. Nichts wäre mehr ungewiß für ihn und das Zukünftige wie das Vergangene wären gegenwärtig vor seinen Augen.“ [22] S. 102 f.

Im 18. und 19. Jahrhundert wurden gewaltige Erfolge mit Newtons Mechanik erzielt. Newton selbst konnte durch die Anwendung seiner Theorie auf die Bewegung der Planeten, die Grundzüge das Sonnensystems enträtseln. Später gelang es Laplace, die Bewegung der Planeten, Monde und Kometen bis ins kleinste Detail zu erläutern, wie auch den Wechsel der Gezeiten. Angetrieben durch diese Erfolge wandten andere Physiker die Mechanik auch auf die kontinuierliche Bewegung flüssiger und die Schwingung elastischer Körper an und hatten wiederum Erfolg. Es folgten weitere Erkenntnisse, und bald wurde das kartesianisch-newtonsche Denken erfolgreich auch auf andere Wissenschaften wie Biologie, Medizin und sogar die Wirtschaftswissenschaften übertragen. Aus diesen wissenschaftlichen Erkenntnissen, die auf das kartesianisch-newtonsche Denken begründet waren, erwuchs eine globale Weltanschauung, die sich bis heute in vielen Kulturen und Gesellschaften etabliert hat und unserem westlichen Denken bis heute als Basis dient.

3 Zur Geschichte der modernen Physik

Die moderne Physik des 20. Jahrhunderts hat ihren Beginn in einer Zeit, in der die meisten Physiker der Meinung waren, daß sich mit Hilfe der statistischen Mechanik und des Elektromagnetismus alle physikalischen Phänomene erklären ließen. Den Grundstock für die Ausbildung einer neuen Theorie bildete eine Entdeckung des deutschen Physikers Max Planck im Jahre 1900.

3.1 Die Entdeckung des Planckschen Wirkungsquantums – h

Im Jahre 1895 fing Planck an, sich mit dem Problem der Ultraviolett-Katastrophe bei der Strahlung eines schwarzen Körpers zu beschäftigen. Dabei verstehen wir unter einem schwarzen Körper einen Körper, der sämtliche auf ihn treffende elektromagnetische Strahlung absorbiert. (vgl. [12] S: 212) Die Theorie besagte

„…, daß ein mit Strahlung erfüllter Hohlraum stets bei den kürzesten Wellenlängen eine unendliche Energie aufweisen müsse – daß also, statt ein Maximum im Spektrum eines schwarzen Körpers zu zeigen und bei Wellenlänge Null auf die Energie Null abzufallen, die Messungen bei ganz kurzen Wellenlängen über jeden Skalenwert hinausgehen müßten.“ [9] S. 50

Die Folgerung aus der damaligen Theorie war, daß die Strahlungsleistung, die abhängig ist von der Temperatur des Körpers und der Wellenlänge bzw. der Frequenz der Strahlung bei sehr kurzen Wellenlängen gegen unendlich gehen müßte. Die Frequenz ist der Kehrwert der Wellenlänge, und sehr kurze Wellenlängen bedeuten sehr hohe Frequenzen. Diese Folgerung bezeichnet man als Ultraviolett-Katastrophe, die aber in den Experimenten nicht auftrat. Nach den damals für gültig gehaltenen Gesetzen hätte ein schwarzer Körper Strahlung in gleichbleibendem Maße abgeben müssen, unabhängig von der Frequenz der Strahlung. Ein solcher Körper sollte die gleiche Energiemenge in Wellen mit einer Frequenz von einer Billion pro Sekunde abstrahlen, wie Wellen mit einer Frequenz von drei Billionen pro Sekunde. Da nun die Zahl der Wellen pro Sekunde unbegrenzt ist, würde das bedeuten, daß die Gesamtenergie gegen unendlich ginge. (vgl. [10] S. 75 f.)

Diese Ultraviolett-Katastrophe trat aber in den Experimenten nicht auf. Das Energiemaximum lag in den Versuchen nicht bei sehr kurzen Wellenlängen, sondern in einem Bereich der mittleren Wellenlänge. Der Enegiezuwachs stieg nicht mit zunehmender Strahlungsfrequenz an, sondern fiel auf Null ab (s. Abb. 1). Es gab also einen Widerspruch zwischen den empirischen Meßwerten und den theoretischen Voraussagen. (vgl. [9] S. 50 f.)

Abb. 1: Spektrale Intensitätsverteilung der Strahlung
eines schwarzen Körpers, Temperaturangaben in K

Planck widmete seine Forschungstätigkeit seit 1895 diesem Problem. Dabei versuchte er das Problem von der Strahlung eines schwarzen Körpers auf das strahlende Atom zu verschieben. Zunächst wandte er sich der Frage zu, wie kleine elektrische Oszillatoren elektromagnetische Wellen aussenden und absorbieren müssen, wobei wir unter einem Oszillator ein schwingungsfähiges System wie einen Massenpunkt oder eine elektrische Ladung verstehen. (vgl. [12] S. 213) Dadurch beseitigte er zwar nicht die tiefen Schwierigkeiten des Problems, doch die Deutung und Interpretation der empirischen Tatsachen wurde vereinfacht. Bis zum Jahr 1900 hatte man das Problem noch nicht gelöst. Zwar kannte man zwei Gleichungen, die das Problem annähernd beschrieben, die sich jedoch nur auf bestimmte Bereiche des Spektrums anwenden ließen. So machten das Rayleigh-Jeanssche Strahlungsgesetz Aussagen über die Energieabgabe eines schwarzen Körpers bei niedrigen Frequenzen und das Wiensche Strahlungsgesetz über die Energieabgabe bei hohen Frequenzen, doch beschrieb keine der beiden Gleichungen das gesamte Spektrum.

Planck erkannte 1900, daß sich diese beiden unvollständigen Beschreibungen des Spektrums eines schwarzen Körpers zu einer einfachen mathematischen Formel zusammenfassen ließen – dem Strahlungsgesetz von Planck:


(Plancksches Strahlungsgesetz)

Dabei ist  die p(v, T)dv Strahlungsleistung, die auf den Frequenzbereich v,v+dv bei der Temperatur T des schwarzen Körpers entfällt. Bei c handelt es sich um die Lichtgeschwindigkeit im Vakuum (2,997×108 m×s-1), k ist die Boltzmann-Konstante (1,381×10-23 J×K-1); h (6,626×10-34 J×s) ist eine neue physikalische Konstante – das Plancksche Wirkungsquantum. Das Strahlungsgesetz von Planck gibt genau die in Abb. 1 angegebenen Kurven wieder. (vgl. [7] S. 543 ff.) Weshalb es zur Ultraviolett-Katastrophe hätte kommen müssen, soll nun kurz erklärt werden.

Für sehr kleine Frequenzen   (hv << kT) geht diese Formel wegen ehv/kT ≈ 1 + hv/kT über in:

(Rayleigh-Jeanssches Strahlungsgesetz)

 

Die Kurven der Strahlungsleistung bei der Temperatur T als Funktion der Frequenz beginnen also als Parabeln auf der ‘‘roten’‘ Seite des Spektrums. Würde dies so weitergehen, so würde für große Frequenzen die Energiedichte unendlich groß werden, was zur Ultraviolett-Katastrophe führe und was a priori absurd ist.

Hingegen gilt bei hv>>kT für ehv/kT >> 1 und aus dem Planckschen Strahlungsgesetz wird:

(Wiensches Strahlungsgesetz)

Das Wiensche Strahlungsgesetz beschreibt dabei wenigstens die Existenz eines Maximums, stimmt aber nicht bei sehr kleinen Frequenzen. Wie schon erwähnt waren sowohl das Wiensche-Strahlungsgesetz als auch das Rayleig-Jeansche-Strahlungsgesetz als Teilnäherungen der Beschreibung des Spektrums eines schwarzen Körpers bekannt, bis sie sich als Grenzfälle des Planckschen Strahlungsgesetzes ergaben. (vgl. [7] S. 546)

Zur gleichen Zeit, als Planck sein Strahlungsgesetz entwickelte, führten Rubens und Curlbaum sehr genaue Messungen des Spektrums der Wärmestrahlung aus. Planck versuchte, die Meßergebnisse mit seiner Formel darzustellen und als Planck und Rubens sich damals trafen, um ihre Ergebnisse zu vergleichen, stellte sich heraus, daß sie übereinstimmten – Planck hatte die richtige Formel gefunden.

Mit dieser Entdeckung begannen aber erst die eigentlichen Schwierigkeiten. Planck hatte zwar eine Formel, doch wußte er sie nicht theoretisch zu deuten. Ihm stellte sich die große Frage, auf welchen physikalischen Grundlagen diese Formel bestand. Da Planck auf Grund seiner früheren Untersuchungen die Formel leicht in eine Aussage über das strahlende Atom – den Oszillator – übersetzen konnte, erkannte er bald, daß ein Oszillator Energie nur in ganz bestimmten Portionen aufnehmen und abgeben kann. Diese ‘‘Energieportionen’‘ werden als Quanten bezeichnet. Eine vorhandene Energiemenge kann also nicht beliebig zerteilt werden, sondern sie kann nur in eine endliche Zahl von Teilen unter den
Oszillatoren aufgeteilt werden. Die Energie eines solchen Strahlungsteilchens (E) hängt mit dessen Frequenz (v – Ny) gemäß der Planckschen Formel

zusammen, wobei h eine Konstante ist, die wir als Plancksche Konstante oder auch als Plancksches Wirkungsquantum bezeichnen. (vgl. [9] S. 56)

Jedes Quantum verfügt über einen gewissen Energiebetrag, dessen Größe proportional zu der Höhe der Frequenz der Strahlung ist. Bei genügend hoher Frequenz kann die Aussendung eines einzelnen Quantums mehr Energie erfordern, als vorhanden ist. Auf diese Weise verringert sich die Abstrahlung bei hohen Frequenzen.

Dieses Ergebnis unterschied sich jedoch so sehr von allem, was man aus der klassischen Physik wußte, daß Planck seine eigene Entdeckung zunächst nicht glauben wollte. Ihm war jedoch bewußt, daß er auf etwas gestoßen war, was die Grundlagen der Physik erschütterte. Auf einem Spaziergang im Grunewald soll er mit seinem Sohn über seine Idee gesprochen haben.

„Auf diesem Weg hätte er ihm auseinandergesetzt, daß er das Gefühl habe, entweder eine Entdeckung aller ersten Ranges gemacht zu haben, vielleicht vergleichbar mit den Entdeckungen Newtons, oder sich völlig zu irren.“ [11] S. 17

Der Gedanke, daß Energie nur in diskreten Energiequanten aufgenommen und abgegeben werden kann, war nicht in den Rahmen der bis dahin bekannten Physik einzuordnen. Deswegen scheiterten alle Versuche Plancks, seine neue Hypothese in Beziehung zu den klassischen Vorstellungen der Physik zu setzen.

Ein Geldautomat arbeitet ähnlich. Wir können hier in Deutschland immer nur Beträge abheben, die ein Vielfaches von 50 DM sind. Zwischenbeträge wie z.B. 75 DM oder Beträge, die kleiner als 50 DM sind, können wir nicht abheben. Das bedeutet nicht, daß es diese Zwischenbeträge nicht gibt, sie stehen uns nur nicht zur Verfügung. Analog können Oszillatoren nur bestimmte Energiemengen absorbieren bzw. emittieren.

Es dauerte fünf Jahre, bis mit der von Planck begründeten Hypothese weitergearbeitet wurde.

3.2 Albert Einstein und die Doppelnatur des Lichts

Seit Newton hat man sich intensiv damit beschäftigt, ob Licht aus Teilchen – Korpuskeln – bestünde oder ob das Licht eher mit einer Wellenvorstellung zu beschreiben sei.

3.2.1 Die Wellentheorie des Lichts

Nachdem Newton von einer Korpuskularlvorstellung ausgegangen war, entwickelte Christiaan Huygens etwa zur selben Zeit eine Wellenbeschreibung des Lichts. Huygens hatte eine Vorstellung des Lichts, die mit den Kräuselwellen vergleichbar ist, die ein Stein hervorruft, wenn man ihn in einen See fallen läßt. So wie sich die Wellen gleichmäßig um den Stein herum ausbreiten, sollten sich auch die Lichtwellen um eine Lichtquelle herum ausbreiten. Dabei ging Huygens davon aus, daß sich das Licht in einer unsichtbaren Substanz – dem leuchtenden Äther – ausbreite.

Damals wurde die Wellentheorie von Huygens zu Gunsten der Korpuskulartheorie von Newton verworfen. Zwar konnten beide Theorien die Lichtbrechung beim Übergang von verschieden dichten optischen Medien erklären, doch besaß die Wellentheorie von Huygens einen Nachteil gegenüber der Korpuskulartheorie Newtons:

Wenn Licht auf eine Kante trifft, wirft es einen scharfen Schatten, so wie man das von einem Teilchenstrahl auch erwarten würde. Wenn Licht jedoch eine Welle wäre, dann sollte man annehmen, daß das Licht noch ein bißchen in den Schatten hineingebeugt wird, so wie die Wellen, die sich im Wasser um einen Felsen herum ausbreiten. ( vgl. [9] S. 23 ff.)

Zu Beginn des 19. Jahrhunderts hatte sich die Wertschätzung der beiden Theorien jedoch fast ins Gegenteil verkehrt. Der Grund hierfür liegt in der Entwicklung einer Wellentheorie des Lichts durch Thomas Young, der diese anhand eines Experiments dann auch bewies. Hinzu kam auch die experimentelle Bestimmung der Lichtgeschwindigkeit im Wasser. Nach Newton hätte das Licht im
optisch dichteren Medium schneller sein müssen als in einem optisch dünneren Medium wie der Luft. Es zeigte sich aber, daß Licht im optisch dichteren Medium langsamer wird. Young wußte folgendes über Wasserwellen:

Abb. 2: Laufen Wellen durch eine kleine Öffnung bilden
sich hinter der Öffnung Halbkreiswellenzüge aus

Wenn Licht also tatsächlich eine Welleneigenschaft besitzt, dann müßte man ein analoges Ergebnis zu den Wasserwellen erhalten können, wenn man diesen Versuch mit Licht ausführt. Thomas Young führte folgenden Versuch durch (s. Abb. 3):

Abb. 3: Versuchsaufbau nach Young

Er nahm eine Lichtquelle, die vor einem Einfachspalt-Schirm stand. Hinter dem Einachspalt breitete sich dann eine Halbkreiswellenzug aus, der auf einen Doppelspalt-Schirm traf. Hinter diesem Schirm breiteten sich zwei Halbkreiswellenzüge aus, die miteinander interferierten. Diese Interferenz machte er auf einem Schirm sichtbar, der hinter dem Doppelspalt-Schirm stand und auf diesem sah man helle und dunkle Streifen als Folge der Interferenz der Lichtwellen (s. Abb. 4). Dieses Experiment gilt als Beweis für die Wellennatur des Lichts. (vgl. [9] S. 28 ff.)

Abb. 4: Versuchsergebnis bei rotem Licht mit einer Wellenlänge von 700 nm,
einem Spaltabstand von 0,5 mm und einer Entfernung von 1 m vom Doppelspalt zum Schirm

 

 

3.2.2 Die Teilchentheorie des Lichts

Nachdem sich die meisten Physiker der Zeit um 1900 geweigert hatten die Plancksche Formel zu akzeptieren und die meisten von ihnen diese Formel als einen mathematischen Kunstgriff Plancks bezeichneten, war Albert Einstein der erste, der die Quanten als physikalische Realität betrachtete und mit ihnen zu arbeiten begann.

Einstein beschäftigt sich mit einer Arbeit von Philipp Lenard, bei der es um den Photoeffekt ging: Licht ist im Vakuum in der Lage, Elektronen aus einer Metallplatte, die von dem Licht beschienen wird, herauszuschlagen. Einstein deutete diesen Effekt mit einer Teilchentheorie des Lichts, bei deren Entwicklung er sich auf die Arbeit Plancks stützte.

Lenard untersuchte 1899 die Frage, ob es von der Intensität des Lichts abhängig sei, daß die Elektronen aus dem Metall herausgeschlagen werden. Er benutzte bei seinem Experiment einfarbiges Licht, was bedeutete, daß alle Wellen des Lichts die gleiche Frequenz hatten. Dabei machte er eine erstaunliche Entdeckung:

Verwendet man helleres Licht, bringt man also z.B. die gleiche Lichtquelle dichter an das Metall heran, fällt auf jeden Quadratzentimeter mehr Energie. Wenn ein Elektron aber mehr Energie aufnimmt, so müßte es mit einer höheren Geschwindigkeit aus der Metalloberfläche heraustreten. Lenard erkannte aber, daß sich nur die Zahl der Elektronen pro Quadratzentimeter erhöhte, wenn er die Intensität des Lichtes vergrößerte, nicht aber ihre Geschwindigkeit. Ändert man jedoch die Frequenz des Lichts, so fliegen die Elektronen tatsächlich schneller aus der Metalloberfläche heraus. Nicht die Intensität des Lichts, sondern seine Farbe oder Frequenz sind ausschlaggebend für die Geschwindigkeit der Elektronen.

Dieser Effekt ist ganz einfach zu erklären, wenn man bereit ist, sich von den klassischen Vorstellungen der Physik zu trennen und die Planckschen Erkenntnisse auf dieses Problem zu übertragen. Einstein übertrug einfach die Formel  von den kleinen elektrischen Oszillatoren innerhalb eines Atoms auf die elektromagnetische Strahlung. Er behauptete, Licht sei keine stetige Welle, wie die Wissenschaft glaubt, sondern Licht trete in bestimmten Quanten auf. Sämtliches Licht einer bestimmten Frequenz, also Licht einer bestimmten Farbe, tritt in Quanten auf, die alle die gleiche Energie besitzen. Trifft eines dieser Lichtquanten (Photonen – diese Bezeichnung wurde jedoch erst 1926 eingeführt) auf ein Elektron, teilt es ihm jedesmal die gleiche Energiemenge und somit die gleiche Geschwindigkeit mit. Intensiveres Licht bedeutet lediglich mehr Lichtquanten pro Flächeneinheit. Doch wenn wir die Frequenz eines Photons ändern so ändern wir auch seine Energiemenge. (vgl. [9] S. 60 ff.)

Nun besaß man zwei Theorien des Lichts, eine Wellentheorie und eine Teilchenthoerie. Es dauerte aber noch einige Jahre, bis die von Einstein begründete Teilchentheorie des Lichts, welche besagt, daß Licht immer nur in bestimmten – Paketen auftreten kann, von den anderen Wissenschaftlern anerkannt wurde.

3.3 Die Anerkennung der Doppelnatur des Lichts als physikalische Realität

Planck hatte den Weg aufgezeigt, der abweichend von den klassischen Vorstellungen der Physik, zu einer neuen Physik des sehr Kleinen führt. Die Quantentheorie, wie wir sie heute kennen, begann aber eigentlich erst, nachdem die Wissenschaft die Einsteinsche Auffassung vom Lichtquant akzeptierte und einsah, daß das Licht sowohl im Sinne von Teilchen als auch von Wellen beschrieben werden mußte. Einstein hatte das Lichtquant zwar schon in seinem Aufsatz von 1905 über den Photoeffekt eingeführt, doch erst später fand diese Idee größere Anerkennung. Selbst Robert Andrews Millikan, der versucht hatte, die Einsteinsche Deutung des Photoeffekts zu widerlegen, dabei aber einen Beweis für die Richtigkeit dieser Deutung lieferte und darüber hinaus auch noch einen sehr genauen Wert des Planckschen Wirkungsquantums h ermittelte, konnte die Welt der Wissenschaft nicht dazu bewegen, diese Erkenntnisse zu akzeptieren. Aber auch ihm selbst fiel es schwer, die Ergebnisse seiner Versuche
von 1915 anzuerkennen. Er berichtet in den 40er Jahren über die Arbeit mit Einsteins Gleichung zum Photoeffekt:

„Ich war gezwungen, 1915 festzustellen, daß sie trotz ihrer Unzumutbarkeit eindeutig verifiziert worden war … sie schien gegen alles zu verstoßen, was wir über die Interferenz von Licht wußten.“ [9] S. 95

Schon 1915 sagte er:

„Die semikorpuskulare Theorie, durch die Einstein zu dieser Gleichung gelangt, scheint gegenwärtig vollkommen unhaltbar zu sein.“ [9] S. 95

Es ist dem Physiker Arthur Compton zu verdanken, daß ein direkter Beweis für die Existenz von Photonen experimentell geliefert wurde. Compton hatte sich seit dem Jahre 1913 mit Röntgenstrahlen beschäftigt. Eine Reihe von Experimenten brachte ihn 1923 zu dem Schluß, daß die Wechselwirkungen zwischen Röntgenstrahlung und Elektronen nur dann zu erklären ist, wenn man die Röntgenstrahlen als Teilchen auffaßt oder genauer gesagt als Photonen. Bei den entscheidenden Experimenten ging es um die Streuung der Röntgenstrahlung am Elektron oder, anders ausgedrückt, um die Wechselwirkung zwischen Elektron und Photon beim Zusammenprall. Wenn ein Röntgen-Photon auf ein Elektron trifft, nimmt das Elektron Energie und Impuls auf und fliegt unter einem Winkel davon. Das Photon andererseits verliert Energie und Impuls und fliegt in einem anderen Winkel davon. Beide Teilchen verhalten sich wie Billardkugeln, von denen sich die eine bewegt, sich die andere in Ruhe befindet und die dann zusammenstoßen. Beim Photon ist der Energieverlust einer Frequenzänderung seiner Strahlung äquivalent, wobei der Betrag gleich h×Dn ist, der an das Elektron abgegeben wird. Um dieses Verhalten vollständig zu klären, bedarf es beider Theorien, denn die Röntgenstrahlung ist erst einmal eine elektromagnetische Welle, deren Verhalten aber mit teilchentheoretischen Erkenntnissen entschlüsselt wird. Hier wird die Doppelnatur des Lichts besonders deutlich. Die Wissenschaft begann zu akzeptieren, daß diese doch völlig widersprüchlichen Theorien benutzt werden mußten, um das Verhalten von Strahlungen zu beschreiben, ja daß dieser Widerspruch tatsächlich physikalische Realität ist. Letztendlich bildete die Verknüpfen von Teilchen- und Wellentheorie die Grundlage für die Entwicklung der Quantenmechanik.

Es sei an dieser Stelle angemerkt, daß der Franzose Louis de Broglie den Teilchen-Welle-Dualismus des Lichts auf die Elektronen übertrug und später auf die gesamte Materie ausweitete. (vgl. [5] S. 137)

Es ist sehr schwierig zu beschreiben, was in Atomen und mit Teilchen geschieht, da es keine Analogien aus unserer Alltagswelt oder der klassischen Physik gibt. Daher will ich an dieser Stelle mit weiteren Ausführungen über die historischen Grundlagen der Quantenphysik abbrechen. Die oben angeführten Beispiele sollten nur verdeutlichen, wie die moderne Physik in die Wissenschaft Einzug gehalten hat. Dabei muß betont werden, daß diese Beispiele nur Fragmente der tatsächlichen Entwicklung der Quantenphysik in dem Zeitraum von 1900 bis 1926 waren. Es gab wesentlich mehr Phänomene, die damals gezeigt haben, daß die Quantenvorstellung real ist. So wurde unter anderem das Atommodell von Niels Bohr anhand der Quantenvorstellung gedeutet. Doch nun sollen einige Kernaussagen der Quantentheorie betrachtet werden, die für den weiteren Verlauf dieser Ausführungen von Bedeutung sind. Dabei wird nicht die gesamte Entwicklung beschrieben, die zu den folgenden quantenphysikalischen Erkenntnissen geführt hat, sondern es geht vielmehr um die Interpretation der Erkenntnisse. An einigen Stellen werden dabei auch Erkenntnisse der Relativitätstheorie einfließen; es werden also nicht nur Bereiche aus der Quantentheorie beschrieben.

4 Erkenntnisse der modernen Physik

Wie oben beschrieben, hat sich im ersten Viertel unseres Jahrhunderts eine physikalische Revolution vollzogen. Die klassischen Theorien der Physik wurden in dem Bereich der Atome und Elementarteilchen durch neue, mit den klassischen Vorstellungen nicht zu vereinbarenden, Theorien abgelöst. Zum einen handelt es sich dabei um die Relativitätstheorie von Einstein und zum anderen um die Quantentheorie. Beide Theorien beinhalten Erkenntnisse, die von jedem, der sich mit diesen Aussagen beschäftigt, ein Denken fordert, das sich von den klassischen Vorstellungen von Teilchen und Materie, von Ursache und Wirkung und von Raum und Zeit trennt. Ohne dieses Umdenken kann man die Physik des 20. Jahrhunderts nicht verstehen. Die Gründe für dieses Umdenken sollen jetzt näher beschrieben werden.

4.1 Die Frage der Kausalität und das Unbestimmtheitsprinzip

Das Kausalitätsprinzip verlangt, daß jeder Wirkung eine eindeutige Ursache vorausgeht. Ist also Ort und Impuls eines Teilchens zu einem beliebigen Zeitpunkt bekannt, dann ist bei Kenntnis aller auf das Teilchen wirkender Kräfte seine Bewegung und Lage für die Zukunft vorhersagbar (s.S. 5). Dabei sagt der Ort etwas über die Lage des Teilchens im Raum aus und der Impuls etwas über die Masse (m) und Geschwindigkeit (v) des Teilchens. Es gilt für den Impuls p eines Teilchens:

p = mv

Dieses Prinzip hatte als grundlegende Annahme praktisch jeder vernünftigen Forschung gedient.

Werner Heisenberg hat in Zusammenarbeit mit Niels Bohr im Jahre 1927 gezeigt, daß die Vorausberechnung zukünftiger Verhaltensweisen von Teilchen nicht gelingen kann. Er entwickelte als Gegenstück zum Kausalitätsprinzip das Unbestimmtheitsprinzip, auch Unschärferelation genannt. Diese Prinzip besagt ganz einfach, daß wir niemals den exakten Ort und den exakten Impuls eines
Teilchens messen können – jedenfalls nicht gleichzeitig. Jede genauere Messung des Ortes hat eine zunehmende Ungenauigkeit über die Kenntnis des Impulses zur Folge. Bestimmen wir also den exakten Ort eines Teilchen zu einem bestimmten Zeitpunkt, so können wir keine Kenntnisse über den Impuls des Teilchens zu diesem Zeitpunkt erlangen und umgekehrt.

Angenommen, wir wollen Ort und Impuls eines Teilchens zu einem bestimmten Zeitpunkt messen, um eine Aussage über sein zukünftiges Verhalten zu machen. Wir beginnen mit der Positionsbestimmung des Teilchens und bestrahlen es mit Licht. Durch die Streuung des Lichts an dem Teilchen können wir dessen Position bestimmen. Wir können die Position jedoch nicht genauer als den Abstand zwischen den Kämmen der Lichtwellen bestimmen. Daher wählen wir Licht mit einer möglichst kurzen Wellenlänge. Nach Planck können wir aber keine beliebig kleine Lichtmenge benutzen, wir müssen mit mindestens einem Lichtquantum – Photon – arbeiten. Dieses Photon wird aber durch sein Einwirken auf das zu messende Teilchen dessen Geschwindigkeit in nicht vorhersehbarer Weise verändern und damit auch dessen Impuls. Außerdem wird die Energie eines Photons bei Verkürzung der Wellenlänge erhöht und der Störeffekt im Bezug auf den Impuls des Teilchens wird dem entsprechend größer. Daher zieht eine genauere Positionsbestimmung immer eine ungenauere Impulsbestimmung nach sich und umgekehrt. (vgl. [10] S. 76 f.)

Zwischen diesen beiden Extremwerten haben wir keine exakten Kenntnisse über Ort und Impuls des Teilchens. Das Kausalitätsprinzip gilt somit nicht im Bereich der Quantentheorie. Das Interessante dabei ist jedoch, daß die ‘‘Wenn … dann’‘-Aussage von Laplace nicht daran scheitert, daß die Berechnungen zu kompliziert sind, um den zukünftigen Zustand eines Teilchens zu berechnen. Die Aussage scheitert an der Prämisse, wir können Ort und Impuls nicht exakt gleichzeitig bestimmen.

Besonders auffällig tritt die Unschärferelation bei der Elektronenbeugung an einem Spalt hervor. Wir lassen Elektronen aus einer Elektronenkanone auf einen sehr schmalen Spalt treffen. Alle Elektronen unseres Strahls haben also eine Beschleunigungsstrecke durchlaufen und besitzen nur in y-Richtung einen Impuls also py=p, wobei die Impulse in x- und in z-Richtung gleich Null sind. Auf dem Schirm hinter dem Spalt erhalten wir eine Elektronenverteilung, die aussieht wie ein Beugungsmuster. Das bedeutet aber, daß die Elektronen auch einen Impuls in x-Richtung besitzen müssen. Wir können diese Anordnung als einen Versuch betrachten, die x-Koordinate des Ortes zu bestimmen. Je genauer wir diese bestimmen, desto größer wird die Impulsunschärfe in x-Richtung. Nimmt man nun an, daß die meisten Elektronen in den Bereich des Maximums 0-ter Ordnung fallen, so kann man die Impulsunschärfe Δpx durch die Lage des Minimums erster Ordnung am Einfachspalt abschätzen. Es gilt sin α = λ/d mit  λ für die Wellenlänge und d für die Spaltbreite, also in diesem speziellen Fall hier sin α = λ/Δx. Weiterhin gilt λh/p ⇒ sin α = h/p Δx . Aus Abb. 5 ersehen wir sin α = Δpx/p, wobei wir aus beiden Gleichungen Δx Δph entsprechend der Unschärferelation erhalten. Wenn wir also die x-Koordinate mit einer Genauigkeit von Δx bestimmen, so ist die x-Komponente des Impulses p nur bis auf Δpxh/Δx festgelegt. Nach der Unschärferelation können wir zwei Variablen, deren Produkt die Dimension einer Wirkung besitzt, z.B. Ort mal Impuls oder Energie mal Zeit, gleichzeitig nur so weit genau bestimmen, daß das Produkt der jeweiligen Unschärfen von der Größenordnung des Planckschen Wirkungsquantums ist. (vgl. [8] S. 385)

Abb. 5: Treffen Elektronen auf einen schmalen Spalt, so tritt Beugung auf.
Der Versuch die x-Koordinate des Ortes zu bestimmen, führt zu einer Unschärfe der x-Koordinate des Impulses

 

4.2 Das Komplementaritätsprinzip

Niels Bohr hat das Unbestimmtheitsprinzip als einen Sonderfall seines Komplementaritätsprinzips angesehen, welches besagt, daß die beiden so widersprüchlichen Vorstellungen der Materie als Welle und als Teilchen doch letztendlich zueinander komplementär sind. Sie schließen einander zwar aus, beschreiben aber dennoch nur gemeinsam die atomaren Verhältnisse. Ein Wissenschaftler muß sich bei dem Aufbau seiner Meßinstrumente und der Versuchsdurchführung immer bewußt sein, daß die Teilchen immer seiner Art der Fragestellung ausgesetzt sind und sich dem entsprechend ‘‘verhalten’‘ werden. Stellt er also eine Teilchenfrage an die Elementarteilchen, so werden sie auch eine Teilchenantwort geben. Wählt er jedoch eine Frage nach den Welleneigenschaften der Elementarteilchen aus, so erhält er eine Wellenantwort. Auf diese Art und Weise ist der Beobachter Mensch durch die Art und Weise, wie
er das Experiment durchführt, dafür verantwortlich, welche Ergebnisse erzielt werden. Die Wahl seines Bildes hat jedoch eine Einschränkung dessen zur Folge, was er aus dem Experiment erfahren kann, denn der andere Aspekt geht verloren.

Das Problem bei der Quantenphysik ist, daß man, wie oben beschrieben, nie exakte Aussagen über den Zustand eines Teilchens treffen kann. Aus vielen Versuchsreihen hat die Wissenschaft jedoch Kenntnis über die Wahrscheinlichkeiten erlangt, mit denen bestimmte Versuchsergebnisse auftreten. Für einige Vorgänge liefern auch die Schrödinger Gleichungen sehr genaue Wahrscheinlichkeitsaussagen. In vielen Bereichen sind die Quantenphysiker jedoch nicht in der Lage, aus dem Anfangszustand einer Versuchsanordnung das Versuchsergebnis zu bestimmen. Vielmehr wissen sie, daß von etwa 1000 Messungen mit den gleichen Anfangsbedingungen 730 mal das Ergebnis A und 270 mal das Ergebnis B erzielt wird. Die Quantentheorie läßt die Physik nicht mehr als exakte Wissenschaft erscheinen, sondern sie führt ein Element der Unvorhersagbarkeit und Zufälligkeit in diese wissenschaftliche Disziplin ein. (vgl. [10] S. 78) Um dieses statistischen Charakters der modernen Physik Herr zu werden, wurden sehr abstrakte mathematische Formalismen entwickelt, doch auf die Beschreibung dieser Formalismen soll hier nicht weiter eingegangen werden, da sie für das Verständnis der Arbeit belanglos sind. Es soll jedoch noch einmal ausdrücklich darauf hingewiesen werden, daß wir immer nur die Wahrscheinlichkeit, die Tendenz für ein zukünftiges Ereignis, angeben können, jedoch niemals einen exakten Wert erhalten werden. In der Quantenwelt muß man sich von den ‘‘alten’‘ Kausalitätsvorstellungen trennen und akzeptieren, daß sowohl das Unbestimmtheitsprinzip als auch das Komplementaritätsprinzip gilt. Ort und Impuls sind ‘‘Charakteristika’‘ eines Teilchens, die nie genau zusammen bestimmt werden können. Und je nachdem, ob wir uns bei der Beobachtung eines Teilchens für das Wellen- oder Teilchenbild der Materie entscheiden, erhalten wir auch eine Wellen- oder Teilchenantwort, doch um einen Vorgang genau zu beschreiben bräuchten wir beide Beschreibungen. (vgl. [4] S. 98)

4.3 Die Quantenwelt und die kartesianische Trennung des Ich und der Welt

Aus den oben genannten Prinzipien der Quantentheorie geht noch ein weiterer wichtiger Bruch mit den klassischen Vorstellungen hervor. In der klassischen Physik war der Ausgang eines Experiments immer unabhängig von dem Beobachter. Der Experimentator war niemals Teil des Experiments. Doch diese Vorstellung, daß Phänomene eintreten, unabhängig davon ob oder wie sie beobachtet werden, muß in der Welt der Quanten aufgegeben werden. In der Welt der Quanten muß der Experimentator – der Beobachter – immer als Teil des Experiments betrachtet werden. Der Beobachter bestimmt wie sich das zu beobachtende Teilchen darstellt. Er bestimmt, ob sich das Teilchen als Teilchen oder als Welle zeigt. Der Beobachter bestimmt somit das ‘‘Gewand’‘, in dem sich das Teilchen zeigen wird. Es ist für den Ausgang des Experiments von entscheidender Bedeutung, wie wir das Experiment durchführen. Und auch der Akt der Beobachtung beeinflußt das Teilchen in nicht exakt zu bestimmender Weise. Wir erhalten aus diesem Experiment immer nur eine Momentaufnahme der Realität, was danach mit dem Teilchen geschieht, entzieht sich wieder unserer Kenntnis. Der strenge Determinismus, der der klassischen Beschreibung zugrunde liegt, ist im atomaren und subatomaren Bereich unserer Welt nicht mehr gültig. Die Vorstellung, daß die Welt wie ein Uhrwerk funktioniert, dessen Ablauf unabhängig von einem Beobachter voranschreitet – die kartesianische Trennung des Ich und der Welt, gilt in der Welt der Quanten nicht mehr.

4.4 Die Kopenhagener Deutung

Die Konsequenzen, die sich aus der Bedeutung des Unbestimmtheitsprinzips ergeben, kommen in der Kopenhagener Deutung der Quantentheorie zum Ausdruck, welche von Max Born, Pascual Jordan und Werner Heisenberg verfaßt wurde und dann in Kopenhagen von Bohr u.a. akzeptiert wurde. Man bezeichnet die Arbeit von Born, Jordan und Heisenberg auch als die Dreimännerarbeit.

Nach der Kopenhagener Deutung müssen wir akzeptieren, daß schon der Akt der Beobachtung eine Sache verändert und daß wir, die Beobachter, in einem ganz realen Sinne Teil des Experiments sind – es gibt keine Maschine, kein Uhrwerk, das weiterläuft, unabhängig davon, ob wir es betrachten oder nicht. Außerdem wissen wir nicht mehr, als das, was sich aus dem Experiment ergibt. Wir betrachten zum Beispiel ein Atom und finden ein Elektron im Energiezustand A, dann betrachten wir das gleiche Atom wieder und finden ein Elektron im Energiezustand B. Wir können vermuten, daß es sich dabei um das gleiche Elektron handelt, das einfach von A nach B gesprungen ist (Quantensprung) – vielleicht gerade, weil wir es beobachtet haben. Tatsächlich können wir jedoch nicht mit Sicherheit sagen, ob es sich um das gleiche Elektron handelt. Wir können auch keine Aussage darüber machen, wie es von A nach B gekommen ist, was also passiert, wenn wir es nicht betrachten. Das Einzige, was wir dem Experiment oder den Gleichungen der Quantentheorie entnehmen können, ist die Wahrscheinlichkeit, daß wir, wenn wir ein System betrachten und die Antwort A erhalten, beim nächsten Mal die Antwort B erhalten werden. Wir können überhaupt nichts über den Zustand des Systems sagen, wenn wir es nicht betrachten und auch keine Aussagen darüber machen, wie es von A nach B gekommen ist.

Dies ist eins der fundamentalen Merkmale der Quantenwelt. Es ist interessant, daß unsere Kenntnisse davon, was ein Elektron tut, wenn wir es betrachten, begrenzt sind. Doch viel erschreckender ist es festzustellen, daß wir überhaupt keine Informationen über das Elektron haben, wenn wir es nicht betrachten. (vgl. [11] S. 175-179) Heisenberg beschreibt seine eigenen Gedanken bei der Entstehung der Kopenhagener Deutung wie folgt:

„Ich erinnere mich an viele Diskussionen mit Bohr, die bis spät in die Nacht dauerten und fast in Verzweiflung endeten. Und wenn ich am Ende solcher Diskussionen noch allein einen kurzen Spaziergang im benachbarten Park unternahm, wiederholte ich mir immer und immer wieder die Frage, ob die Natur wirklich so absurd sein könne, wie sie uns in den Atomexperimenten erschien.“ [11] S. 26

4.5 Das große Geheimnis der Quantenphysik

Es gibt in der Quantenphysik ein Experiment, das die ‘‘Verrücktheit’‘ der Quantenphysik besonders deutlich macht. Bei diesem Experiment geht man auf das bekannte Doppelspaltexperiment zurück, mit dem Young den Wellencharakter des Lichts bewiesen hat (s.o.).

„Das grundlegende Element der Quantentheorie, sagt Feynman auf Seite 1-2 des Bandes seiner Vorlesungen, der der Quantenmechanik gewidmet ist, ist das Doppelspaltexperiment. Warum? Weil dies ‘ein Phänomen (ist,) das auf klassische Art zu erklären absolut unmöglich ist, und das in sich den Kern der Quantenmechanik birgt. In Wirklichkeit enthält es das einzige Geheimnis (…) die grundlegende Eigentümlichkeit der ganzen Quantenmechanik’.“ [9] S. 180

4.5.1 Das Doppelspaltexperiment

Aus einer Elektronenkanone werden Elektronen auf eine Wand mit einem kleinen Loch geschossen. Hinter dieser Wand befindet sich eine weitere in der sich zwei kleine Löcher befinden, hinter der eine Art Schirm aus vielen kleinen Elektronendetektoren aufgestellt ist. – Mit Elektronen ist dieser Versuch allerdings noch nicht in genau dieser Weise durchgeführt worden, da es sehr schwierig ist, das Experimentiergerät in einem hinreichend kleinen Maßstab aufzubauen. Mit der Streuung von Elektronenstrahlen an Atomen in Kristallen hat man jedoch schon ähnliche Experimente durchgeführt. Um weiter bei dem einfachen Bild zu bleiben, halte ich an dem imaginären Doppelspaltexperiment fest und übertrage die Ergebnisse der realen Elektronenexperimente auf dieses Experiment.

Wie bei dem Doppelspaltexperiment mit Licht, erscheint auch bei den Elektronen das bekannte Interferenzmuster auf unserem Schirm. Eigentlich ist das nicht verwunderlich, denn hier kommt wieder der Teilchen-Welle-Dualismus zum Vorschein. Doch was bedeutet das eigentlich?

Daß eine Wasserwelle beide Löcher vor dem Schirm passieren kann, verstehen wir ohne weiteres. Eine Welle ist nämlich ein ausgedehntes Objekt. Doch ein Elektron scheint immer noch ein Teilchen zu bleiben, auch wenn ihm wellenartige Eigenschaften zugeschrieben werden. Darum liegt es nahe, daß jedes Elektron das eine oder das andere Loch zweifelsfrei passieren muß. Wenn wir nun eins der beiden Löcher schließen und uns die Verteilung der Elektronen auf dem Schirm ansehen, so stellen wir fest, daß sich die Elektronen hinter dem offenen Loch wie Gewehrkugeln verteilen, die man durch ein kleines Loch schießt. In der Mitte hinter dem Loch finden wir am meisten Einschläge und nach links und rechts nimmt ihre Zahl stetig ab. Schließen wir nun das vorher offene Loch und öffnen das andere, so finden wir auch hier die gleiche Verteilung der Elektronen wie bei dem anderen Loch. Die Addition beider Einzelergebnisse führt aber nicht zu dem Interferenzmuster, das wir erhalten wenn beide Löcher gleichzeitig offen sind, obwohl man das eigentlich erwarten sollte. Öffnen wir hingegen beide Löcher gleichzeitig, so erhalten wir wieder das bekannte Interferenzmuster (s. Abb. 6).


Abb. 6: Beobachtete Muster, wenn beide Löcher offen sind bzw. wenn ein Loch offen ist

Das Interessante daran ist, daß wir auch dann noch das bekannte Interferenzmuster erhalten, wenn wir die Stromstärke der Elektronenkanone so weit absenken, daß immer nur ein Elektron die Versuchsanordnung passiert. Wenn beide Löcher offen sind, so beobachten wir ein Wellenverhalten des Elektrons, ist hingegen ein Loch geschlossen, sehen wir ein Teilchenverhalten des Elektrons. Es scheint so als ‘‘wüßte’‘ das Elektron, in welchem Zustand sich die Löcher der Versuchsanordnung befinden und reagiere dementsprechend. Auch wenn wir versuchen zu ‘‘mogeln’‘ und schnell eines der Löcher schließen bzw. öffnen, während sich das Elektron auf seinem Weg durch die Versuchsanordnung befindet, stellt sich doch immer das richtige Muster ein, das den Zustand der Löcher in dem Moment beschreibt, in dem das Elektron durch die Löcher / das Loch geht.

Wenn wir versuchen, das Elektron auf seinem Weg durch die Löcher zu beobachten, um so herauszufinden, durch welches der Löcher das Elektron nun tatsächlich wandert, bekommen wir ein noch verrückteres Ergebnis. Stellen wir einen Detektor an einem der Löcher auf, der das Elektron registriert, ohne es auf seinem Weg durch die Versuchsanordnung zu beeinflussen, dann verhält sich das Elektron so, als sei nur ein Loch offen, auch wenn beide Löcher offen sind. Wir erhalten nie das Interferenzmuster, auch wenn wir es sonst immer erhalten haben, als der Detektor noch nicht aufgestellt war und beide Löcher geöffnet waren. Wenn wir das Elektron bei Loch A beobachten, kann es nicht durch Loch B gegangen sein. Finden wir es hingegen nicht bei Loch A, so muß es durch Loch B gegangen sein. Das Seltsame ist nun, daß das Elektron weiß, ob es an einem der Löcher beobachtet wird und sich demgemäß entsprechend verhält. Das Elektron weiß genau über die Versuchsanordnung Bescheid, und das ist das große Geheimnis der Quantenphysik. ( vgl. [9] S. 179-188)

4.5.2 Interpretation des Doppelspaltexperiments

„Die Elektronen wissen nicht nur, ob beide Löcher offen sind oder nicht, sie wissen auch, ob wir sie beobachten oder nicht, und stellen sich in ihrem Verhalten darauf ein. Es gibt keinen klareren Beleg für die Wechselwirkung des Beobachters mit dem Experiment. Wenn wir versuchen, die sich ausbreitende Elektronenwelle zu beobachten, kollabiert sie zu einem eindeutigen Teilchen, aber wenn wir nicht hinschauen, hält sie sich ihre Optionen offen. Im Sinne der Born´schen Wahrscheinlichkeit wird das Elektron durch unsere Messung gezwungen, aus einer Vielzahl von Möglichkeiten eine bestimmte Verhaltensweise zu wählen. Es besteht eine bestimmte Wahrscheinlichkeit dafür, daß es durch ein Loch gehen könnte, und eine entsprechende Wahrscheinlichkeit dafür, daß es durch das andere Loch gehen könnte; das Beugungsmuster auf unserem Detektor entsteht durch eine Interferenz der Wahrscheinlichkeiten. Wenn wir jedoch das Elektron entdecken, kann es sich nur an einem Ort befinden, und damit ändert sich das Wahrscheinlichkeitsmuster seines künftigen Verhaltens – für dieses Elektron steht jetzt fest, durch welches Loch es gegangen ist. Aber wenn niemand hinschaut, weiß die Natur selbst nicht, durch welches Loch das Elektron geht.“ [9] S. 188

4.5.3 Geisterelektronen

Eine experimentelle Beobachtung besitzt nur im Rahmen des Experiments Gültigkeit. Wir können die Beobachtung nicht dafür benutzen, Einzelheiten von Dingen zu ergänzen, die wir nicht beobachtet haben. Die Apparatur, die Elektronen und der Beobachter sind Bestandteile des Experiments. Wir können nicht sagen, daß das Elektron durch das eine oder das andere Loch geht, wenn wir nicht nach den Löchern schauen; das ist aber wieder ein anderes Experiment. Das Elektron verläßt die Kanone und trifft auf dem Detektorschirm auf, und es scheint Informationen über die gesamte Versuchsanordnung einschließlich des Beobachters zu besitzen. Besitzt man eine Apparatur, die registrieren kann, durch welches der Löcher das Elektron geht, dann kann man sagen, daß das Elektron durch das eine oder das andere Loch gegangen ist. Hat man diese Apparatur nicht, kann man auch nicht sagen, daß das Elektron das eine oder das andere Loch passiert hat. Die Schlußfolgerung, daß es durch das eine oder andere Loch
geht, wenn wir nicht hinschauen, ist nach Richard Feynman falsch. Hier kommt der holistische Charakter der Quantenwelt zum Vorschein. Alle Teile stehen in gewissen Weise in Kontakt mit dem Ganzen und dabei ist nicht bloß das Ganze einer Versuchsanordnung gemeint. Die Welt scheint sich alle möglichen Optionen – alle möglichen Wahrscheinlichkeiten – so lange wie möglich offen zu halten. (vgl. [9] S. 188 f.)

„Das Merkwürdigste an der gängigen Kopenhagener Deutung der Quantenwelt ist, daß ein System durch den Akt der Beobachtung gezwungen wird, eine seiner Optionen zu wählen, die dann real wird.“ [9] S. 189

Bei dem Experiment mit zwei offenen Löchern kann die Interferenz von Wahrscheinlichkeiten so gedeutet werden, als würde das Elektron, welches die Kanone verläßt, verschwinden, sobald es sich dem Akt der Beobachtung entzieht und durch eine Reihe von ‘‘Geisterelektronen’‘ ersetzt werden, die verschiedene Wege zum Detektor nehmen. Diese Geisterelektronen interferieren miteinander und wenn wir nachsehen, wie die Elektronen registriert werden, finden wir die Spuren der Interferenz auf dem Schirm, auch wenn wir es eigentlich mit nur einem realen Elektron zu tun haben. Diese Vielzahl von Geisterelektronen beschreibt jedoch nur was passiert, wenn wir nicht hinsehen. Sehen wir hin, verschwinden alle Geisterelektronen außer einem, das sich dann zu einem realen Elektron verfestigt. Und sobald wir wieder aufhören das Elektron zu betrachten, spaltet es sich wieder in eine Vielzahl von Geisterelektronen auf, von denen jedes seinen eigenen Weg der Wahrscheinlichkeit durch die Quantenwelt nimmt. (vgl. [9] S. 189 f.)

„Nichts ist real, ehe wir es nicht betrachten, und es hört auf, real zu sein, sobald wir nicht mehr hinschauen.“ [9] S. 190

4.6 Das EPR-Paradoxon

Einstein hat nie die Auswirkungen des Unbestimmtheitsprinzips akzeptieren wollen. Daß die Physik einen statistischen Charakter besitzen sollte, widersprach seiner Vorstellung von der Welt und dem Universum. Für Einstein mußte es exakte Naturgesetze geben, mit deren Hilfe man die natürlichen Abläufe genau
erklären könne. Aus diesem Grund hielt er die quantentheoretische Beschreibung des Universums für unvollständig. (vgl. [10] S. 78) Er ersann deshalb immer wieder neue Gedankenexperimente, welche die Quantentheorie als unvollständig nachweisen sollten. Eins der bekanntesten Gedankenexperimente ist das EPR-Paradoxon, das 1935 von Einstein, Podolsky und Rosen entwickelt wurde.

Dieses Paradoxon beruht auf dem Begriff der Korrelation. Zwei Größen heißen korreliert, wenn sie durch ein Naturgesetz so miteinander verbunden sind, daß aus der Kenntnis der einen ohne weitere Messung auf die andere geschlossen werden kann. Wenn wir zum Beispiel eine Rakete beobachten, die in zwei Teile zerfällt und wir sehen, daß ein Teil nach links fliegt, dann wissen wir aufgrund des Impulserhaltungssatzes, daß das andere Teil nach rechts fliegen muß.

Einstein, Podolsky und Rosen versuchten das Unbestimmtheitsprinzip mit Hilfe von Korrelationen als falsch nachzuweisen. (vgl. [13] S. 17)

Um das folgende Experiment verständlicher zu machen, soll kurz auf den Quantenzustand und die Polarisation von Photonen – Lichtteilchen – eingegangen werden. Der Quantenzustand eines physikalischen Systems gibt Auskunft über alle Größen dieses Systems, soweit dies im Rahmen der Unschärferelation möglich ist, denn nach der Unschärferelation haben nicht alle Größen eines Systems gleichzeitig genau definierte Werte. Dabei macht der Quantenzustand jedoch eine eindeutige Aussage über die Wahrscheinlichkeiten jedes möglichen Ergebnisses jedes Experiments, das sich an dem System ausführen läßt. Ist die Wahrscheinlichkeit eins, steht das betreffende Ergebnis mit Sicherheit fest. Ist die Wahrscheinlichkeit null, wird sich das betreffende Ergebnis mit Sicherheit nicht einstellen. Liegt die Wahrscheinlichkeit bei einem Wert zwischen null und eins, so kann das entsprechende Ergebnis im Einzelfall nicht vorausgesagt werden. Alles was man vorhersagen kann, ist der Mittelwert für die betreffende Meßgröße, den man erhält, wenn man die Messung an einer großen Zahl gleicher Systeme vornimmt. Der Quantenzustand eines Photons ist durch drei Größen gegeben: durch seine Ausbreitungsrichtung, seine Wellenlänge und seine Polarisation. Polarisieren können wir nur Transversalwellen, also Wellen, bei denen die Schwingungsrichtung senkrecht zur Ausbreitungsrichtung steht. Die durch diese
beiden Richtungen definierte Ebene nennen wir Schwingungsebene, die alle möglichen Richtungen im Raum einnehmen kann. Wir nennen ein Photon vertikal polarisiert, wenn sie Schwingungsebene senkrecht auf der Ausbreitungsrichtung steht und sprechen von einer horizontalen Polarisation, wenn die Schwingungsebene in einem Winkel von 90° zur Ausbreitungsrichtung steht. Außerdem geht aus der Quantentheorie das Superpositionsprinzip hervor, das besagt, daß sich aus zwei beliebigen Quantenzuständen eines Systems durch Überlagerung weitere Zustände bilden lassen. Wir erhalten dann einen neuen Zustand, der die beiden Zustände, aus denen er besteht, sozusagen überlappt. Auf ein Photon übertragen bedeutet das, daß wir aus zwei Zuständen, in denen das Photon erst vertikal und dann horizontal polarisiert ist, einen neuen Zustand erhalten. In diesem neuen Zustand ist dann das Photon in einem beliebigen Winkel zwischen der vertikalen und horizontalen Polarisation polarisiert. Über das Superpositionsprinzip kann es auch dazu kommen, daß die Polarisation des Photons zu gleichen Teilen aus vertikaler und horizontaler Polarisation besteht. Die eigentliche Polarisation besteht also aus einer horizontalen und einer vertikalen Komponenten. Diesen Zustand nennen wir Y0 (Psi 0). Bis zu einer Messung des Photons ist die Polarisation unbestimmt. Die Wahrscheinlichkeit für eine vertikale Polarisation ist gleich der Wahrscheinlichkeit für eine horizontale Polarisation, die beide gleich ½ sind. (vgl. [17] S. 78 f.)

Angenommen, eine Photonenquelle emittiert Paare von Photonen, deren Polarisationszustände korreliert sind. Nach dem Unbestimmtheitsprinzip können jeweils nur die Vertikalkomponente oder die Horizontalkomponente gemessen werden, jedoch nicht beide gemeinsam. Im Bezug auf Elementarteilchen haben wir von Ort und Impuls des Teilchens gesprochen, bei Experimenten mit Photonen sprechen wir von Vertikal- und Horizontalkomponente des Photons, im Bezug auf die Schwingungsebene des Photons. Beide Begriffspaare sind hier analog zueinander. (vgl. [17] S. 78 f.)

Ein Empfänger A wird so eingestellt, daß er die Horizontalkomponente des ihn erreichenden Photons mißt. Danach brauchen wir den Empfänger B nicht abzulesen, da sein Meßwert aufgrund der Korrelation feststeht. Die EPR-Idee sieht nun folgendermaßen aus: (vgl. [13] S. 17)

„Nachdem die Photonen die Quelle verlassen haben, entschließen wir uns, in B die Vertikalkomponente zu messen. Falls die Messung in B gelingt, ist die Unbestimmtheitsrelation widerlegt, da dann beide Komponenten bekannt sind. Sollte dagegen die Messung in B verhindert werden, müßte ein Signal von A mit Überlichtgeschwindigkeit nach B laufen, um früher als das Photon in B einzutreffen und zu informieren, daß in A die Horizontalkomponente gemessen wird.“ [13] S. 17

Da nach Einstein eine Informationsübermittlung mit Überlichtgeschwindigkeit unmöglich ist, wird auch in diesem Fall das Unbestimmtheitsprinzip widerlegt – es gibt keine Korrelation dieser Teilchen. EPR schließen daraus, daß die Quantentheorie unvollständig ist und sowohl die Horizontal- als auch die Vertikalkomponente eines Teilchens auch ohne Messung genau definierte Werte besitzen.

Es hat sich jedoch gezeigt, daß zwei viele Meter voneinander entfernte mikroskopische Teilchen, die über keinerlei Mechanismus miteinander kommunizieren, dennoch in Beziehung zueinander stehen können.

4.6.1 Die Widerlegung des EPR-Paradoxons

Angenommen wir haben zwei Photonen, deren Polarisationen streng korreliert sind. Man kann solche Photonen erzeugen, indem man ein Elektron und ein Positron aufeinanderprallen läßt. Sie vernichten sich gegenseitig und setzen dabei Photonen frei, die die Korrelationsbedingung erfüllen. Die Quantentheorie macht bestimmte Aussagen über die Korrelation der beiden Photonen. Das heißt die Quantentheorie sagt z.B. aus, daß die beiden Photonen eine beliebige Polarisation haben, die sich aus der vertikalen und der horizantalen Komponente zusammensetzt. Bis zu einer Messung ist die Polarisation unbestimmt, und erst durch die Messung wird das einzelne Photon gezwungen, nun einen exakten Wert anzunehmen. Im Augenblick der Messung wird ein Quantenzustand real, und die Polarisation für dieses Photon steht dann fest. Die Quantentheorie sagt außerdem, daß die Messung des einen Photons auch Auswirkungen auf das zweite Photon hat, und zwar in der Form, daß auch für dieses Photon nach Messung des anderen Photon, die Polarisation feststeht und beide Polarisationen gleich sind. Dabei meint Einstein, daß keine Informationen schneller als mit Lichtgeschwindigkeit übermittelt werden können und deshalb das eine Photon horizontal und das andere vertikal polarisiert sein kann. Er war der Ansicht, daß nach der Trennung der Photonen jedes seinen eigenen Weg durch die Quantenwelt nimmt. Hierbei hat nach Daführhalten Einsteins eine Messung, die an dem einen Photon durchgeführt wird und durch die die Polarisation dieses Photons definiert wird, keine Auswirkung auf das andere Photon. Hat z.B. das gemessene Photon eine vertikale Ausrichtung, soll es dennoch für das andere Photon möglich sein, eine horizontale Ausrichtung zu besitzen. Aspect hat 1982 in Paris folgende Beobachtung mit Photonen gemacht:

Wenn man die beiden Photonen eines zwei Photonen-Systems in entgegengesetzte Richtung auseinanderlaufen läßt und in ihre Bahnen einen Polarisationsfilter stellt, der nur vertikal polarisierte Teilchen durchläßt, zeigt sich etwas Erstaunliches. Da y0 zu gleichen Teilen aus dem horizontal und dem vertikal polarisierten Zustand besteht, ist sowohl die Wahrscheinlichkeit, daß beide Photonen durchgelassen werden als auch die Wahrscheinlichkeit, daß beide absorbiert werden, gleich ½. Es ist aber unmöglich, daß das eine Photon durchgelassen wird und das andere nicht. Folglich sind die Ergebnisse der an den einzelnen Photonen dieses Paares durchgeführten Messungen streng korreliert. Wir erhalten dasselbe Ergebnis auch dann, wenn wir den Filter unter einem Winkel von 45° gegen die Horizontale ausrichten. Entweder werden beide Photonen durchgelassen, oder sie werden beide absorbiert, doch es tritt niemals der Fall ein, daß das eine Photon durchgelassen wird und das andere nicht.

Die Ausrichtung der Filter spielt dabei keine Rolle, solange sie nur gleich ausgerichtet sind. Irgendwie geht das eine Photon in Übereinstimmung mit dem anderen durch den Polarisationsfilter (oder nicht). Obwohl die beiden Photonen weit voneinander entfernt sind und sie über keinen Mechanismus verfügen, das andere Teilchen über ihr Verhalten zu informieren, wissen sie doch, wie sich ihr Partner verhält und passen sich dementsprechend an. Dadurch, daß wir das eine Photon durch die Messung zwingen, einen realen Zustand anzunehmen (entweder vertikal polarisiert oder horizontal), zwingen wir auch das zweite Photon, diesen Zustand anzunehmen. Nach EPR sollte dies aber nicht möglich sein, weil die beiden Photonen nicht in der Lage sind, miteinander zu kommunizieren, um so dem jeweils anderen mitzuteilen, daß sich das eine Photon horizontal ausgerichtet hat. Nach EPR müßte das zweite Photon auch im Zeitpunkt der Messung des ersten Photons die Möglichkeit haben, sich vertikal auszurichten. Das würde bedeuten, daß die Photonen nicht korreliert sind. (vgl. [17] S. 78 f.)

In dieser Situation erschüttert die Quantenphysik die relativistische Physik nach Einstein, die momentane Fernwirkungen verbietet, die sich aber in diesem Experiment gezeigt haben und einen Beweis für die Richtigkeit der Quantentheorie darstellen.

4.6.2 Was bedeutet das?

Wir kommen nun an einen Punkt an dem wir uns von den empirischen Tatsachen der Physik trennen und in den Bereich des Möglichen eintauchen. Einige Physiker und Geisteswissenschaftler sind der Meinung, daß man anhand der Ergebnisse von Aspect folgende Überlegung aufstellen kann, von deren Richtigkeit sie überzeugt sind.

Die Ergebnisse der oben geschilderten Versuche werden von einigen Physikern und Philosophen so ausgelegt, daß alle Teilchen, die irgendwann einmal in Wechselwirkung standen, Teilchen eines Systems bleiben, das auch später noch auf Wechselwirkungen reagiert. Alles, was wir sehen und anfassen können, besteht aus solchen Teilchen. Dies geht bis zum Urknall zurück, also der ‘‘Geburt’‘ unseres Universums, bei der alle Teilchen miteinander in Wechselwirkung standen. Das bedeutet aber, daß seit dem Urknall alle Teilchen im Universum Teilchen eines Systems sind. Daher weiß jedes Teilchen über jedes andere Bescheid, und sie stehen bis heute in einer direkten nichtlokalen Verbindung.

Diese Schlußfolgerung beruht nicht auf empirischen Tatsachen und wird daher von anderen Physikern als Beschreibung der Natur abgelehnt. Hier wird von einem Zwei-Teilchen-System über die Urknalltheorie auf alle Teilchen im Universum geschlossen, was für viele eine sehr große Extrapolation bedeutet. An diesem Punkt vermischen sich Glaube und empirische Forschung. Allerdings hat diese Idee eine Bewegung in Gang gebracht, die heute unter dem Begriff New Age bekannt ist. Diesen Gedanken wollen wir nun als Grundlage für die weiteren Darstellungen akzeptieren. Ob wir diese Meinung teilen, sei uns selbst überlassen. Hat also jede Handlung, die wir als Individuen vollführen, Auswirkungen auf jedes einzelne Teilchen des gesamten Universums? (vgl. [9] S. 245 f.)

„Theoretiker wie D´Espagnat und David Bohm meinen, wir müßten akzeptieren, daß buchstäblich alles mit allem zusammenhängt und Phänomene wie das menschliche Bewußtsein nur mit einer holistischen Betrachtung des Universums zu erklären sein werden.“ [9] S. 245

4.7 Die Einsteinsche Relativitätstheorie

Aus der von Einstein 1905 verfaßten speziellen Relativitätstheorie und der 1915 erschienen allgemeinen Relativitätstheorie ergeben sich zwei weitere Brüche mit den klassischen Vorstellungen der Physik. In der speziellen Relativitätstheorie werden die Begriffe des absoluten Raums und der absoluten Zeit abgeschafft. Sie erweisen sich in der neuen Theorie als relative Bestandteile der physikalischen Welt.

4.7.1 Die Relativität des Ortes

Wir sprechen häufig davon, daß zwei Ereignisse an ein und dem selben Ort stattgefunden haben und geben dieser Aussage einen absoluten Sinn. Es verhält sich dabei aber genauso wie bei der Aussage es sei fünf Uhr, ohne anzugeben, wo es fünf Uhr ist, z.B. in Hamburg oder New York. Folgendes Beispiel soll zur Erklärung des Sachverhaltes dienen:

Zwei Frauen, die sich auf einer langen Zugreise von Hamburg nach Peking befinden, verabreden sich jeden Tag im gleichen Abteil des Zuges, um ihren Männern einen Brief zu schicken. Nach Meinung der Frauen wurden die Briefe alle am selben Ort geschrieben. Ihre Männer, die Briefe aus Wien, Budapest und Peking bekamen, teilen diese Ansicht nicht. Vielmehr behaupten die Männer, die Orte lägen hunderte von Kilometern auseinander. Die Frage danach, wer denn nun Recht hat, ist belanglos, denn vom jeweiligen Standpunkt aus haben beide Parteien Recht. Die Aussage ‘‘am selben Ort’‘ hat nur einen relativen Sinn und keinen absoluten. Entsprechend ist es mit der Behauptung, daß die Stellung zweier Sterne am Himmel zusammenfällt. Auch diese Aussage ist nur dann zutreffend, wenn man angibt, daß diese Beobachtung von der Erde aus gemacht wird.

„Man kann also nur dann davon sprechen, daß zwei Ereignisse an der gleichen Stelle des Raumes stattfinden, wenn man zugleich die Körper angibt, auf die sich die Festlegung des Ortes eines Ereignisses bezieht.

So ist also der Begriff der Lage im Raum relativ. Unter der Lage eines Körpers im Raum versteht man daher immer seine Lage bezüglich anderer Körper. Wenn man fordern würde, in der Antwort auf die Frage, wo sich ein Körper befindet, nichts über andere Körper zu sagen, so würde die Frage ihren Sinn verlieren.“ [14] S. 13

Daraus folgt aber auch, daß die Bewegung eines Körpers im Raum relativ ist. Wenn man nämlich behauptet, daß sich ein Körper bewegt hat, so bedeutet das lediglich, daß sich seine Lage im Bezug auf andere Körper verändert hat. Und beobachtet man die Bewegung eines Körpers von zwei verschiedenen Punkten aus, die sich wiederum gegeneinander bewegen, so kann die Bewegung des Körpers vollkommen verschieden aussehen. Fällt ein Stein z.B. aus einem Flugzeug auf die Erde, so fällt er vom Flugzeug aus gesehen auf einer Geraden. Ein Beobachter auf der Erde würde den Fall jedoch als Kurve beschreiben (s. Abb. 7). (vgl. [14] S. 12 ff.)

Abb. 7: Von unterschiedlichen Beobachtungspunkten aus kann der Fall eines Steins verschieden beschrieben werden

Das Galileische Relativitätsprinzip gibt an, wie ein Bezugspunkt zu wählen ist, um physikalische Gesetze zu erkennen. Nach Einsteins Auffassung ist es schon seit dem griechischen Altertum bekannt,

„… daß es zur Beschreibung der Bewegung eines Körpers eines zweiten Körpers bedarf, auf welchen die Bewegung des ersten bezogen wird. Die Bewegung eines Wagens wird auf die Erde bezogen, die eines Planeten auf die Totalität der sichtbaren Fixsterne.“ [6] S. 128

In der Physik nennt man Körper, auf die man die Vorgänge räumlich bezieht, ein Koordinatensystem. Die mechanischen Gesetze von Galilei und Newton gelten nur in solchen Koordinatensystemen, die einen, gegenüber dem Fixsternhimmel, beschleunigungsfreien Bewegungszustand besitzen. Ist diese Voraussetzung erfüllt, spricht man von einem Inertialsystem. (vgl. [21] S. 43 f.)

„Alle Inertialsysteme, die sich relativ zueinander gleichförmig und geradlinig bewegen, sind für die Beschreibung eines Naturvorganges als gleichwertig anzusehen.“ [21] S. 44

Das bedeutet, daß sich in einem System, welches sich mit gleichförmiger Geschwindigkeit geradlinig bewegt, alle physikalischen Vorgänge ebenso abspielen wie in einem ruhenden System. Fährt ein Zug z.B. auf gerader Strecke mit konstanter Geschwindigkeit dahin, so stellen wir keine Veränderungen der physikalischen Gesetze fest im Vergleich zu einem stehenden Zug; (vgl. [20] S. 25)

„… sobald er aber durch eine Kurve fährt oder gebremst wird, kann man das, wie jedermann bekannt, ohne aus dem Zuge hinauszuschauen, am Ablauf der Vorgänge im Zuge merken.“ [20] S. 25

Newton wußte, daß es keinen absoluten Ruhepunkt im Universum gibt und daß es deshalb auch keinen absoluten Raum geben kann, denn diese Ergebnisse hat er aus vielen Versuchsreihen erarbeitet. Doch anstatt diese Kenntnis auf sein Weltbild auszudehnen und von einem relativen Raum zu sprechen, hielt er an seinem Weltbild fest, das einen absoluten Raum als Grundlage hatte. Die Vorstellung, daß es keinen absoluten Raum geben sollte, konnte er nicht in Einklang bringen mit der Vorstellung von einem absoluten Gott. So viel über die Relativität des Ortes; es soll jetzt die Relativität der Zeit untersucht werden.

4.7.2 Die Relativität der Zeit

Neben dem absoluten Raum sprach Newton noch von der absoluten Zeit, die für jeden gleich verstreichen sollte und in der es die Vorstellung von der absoluten Gleichzeitigkeit gab. Ein Ereignis, daß irgendwo im Universum stattfindet, würde jeder Betrachter, unabhängig von seinem Standpunkt, dem gleichen Zeitpunkt zuordnen.

Der Relativität der Zeit geht die Entdeckung der Lichtgeschwindigkeit als Konstante voraus. Dabei hat man über astronomische und terrestrische Verfahren experimentell herausgefunden, daß sich das Licht im Vakuum geradlinig mit einer Geschwindigkeit von ca. 300.000 km pro Sekunde fortpflanzt. Die Lichtgeschwindigkeit im Vakuum ist unabhängig vom Bewegungszustand des emittierenden Körpers. (vgl. [21] S. 43) In jedem System – ob bewegt oder unbewegt – werden die Beobachter feststellen, daß die Lichtgeschwindigkeit 300.000 km pro Sekunde beträgt. Durch diese endliche Geschwindigkeit, mit der sich das Licht ausbreitet, wird die Annahme hinfällig, daß bestimmte Vorgänge in der Welt, unabhängig vom Standpunkt des Beobachters, als gleichzeitig beschrieben werden können.

„Zum Zwecke der direkten Ortsangabe ist die Ebene mit festen Marken, etwa Türmen besät; an jedem Turm befinde sich eine Uhr. Die Uhren sind von A aus reguliert, wenn ein Beobachter auf Turm A von ihnen allen die gleiche Zeigerstellung abliest. Ist aber diese Regulierung von der Wahl des Zentrums A unabhängig? Nein. Sind A und B zwei Türme, die 300.000 km voneinander entfernt sind, so wird bei der von A aus vorgenommenen Regulierung der Uhren ein Beobachter auf dem Turm B die Uhr in A derjenigen in B um zwei Sekunden nachzugehen scheinen. Diese Zeit braucht das Licht um von B nach A und wieder zurück von A nach B zu kommen…“ [20] S. 25

Es gibt keine Gleichzeitigkeit mehr im Sinne der Zeit nach Newton. Auch der Zeitbegriff entpuppt sich als relativer Begriff, der vom Standpunkt des Beobachters abhängig ist. Um die Relativität der Zeit noch eingehender zu beschreiben, soll ein Beispiel folgen, das zeigt, daß auch die Zeit unterschiedlich schnell verstreicht, je nachdem, wie man sich bewegt bzw. wie schnell.

Folgender Frage wollen wir nachgehen: Tickt eine bewegte Uhr mit gleicher Periode wie eine ruhende Uhr gleicher Bauart? In der klassischen Physik, die sich auf kleine Geschwindigkeiten im Verhältnis zur Lichtgeschwindigkeit bezog, wurde ein Ja als Antwort angenommen. Was passiert nun aber, wenn sich eine Uhr mit annähernder Lichtgeschwindigkeit bewegt?

Zunächst bauen wir uns in Gedanken eine ideale Uhr, die mit Licht arbeitet: Sie besteht aus zwei exakt parallelen Spiegeln mit vollständig reflektierender Oberfläche, zwischen denen sich ein Lichtimpuls bewegt. Die Zeit, die das Licht benötigt, um von einem Spiegel zum anderen und wieder zurück zu laufen, benötigt, wollen wir eine Periode nennen, also ein Schlag unserer perfekten Lichtuhr. Die Zeit für einen einfachen Weg beträgt dann eine halbe Periode (s. Abb. 8). Da die Spiegel vollständig reflektieren, bewegt sich der Lichtimpuls stetig hin und zurück und stellt somit eine ewig tickende Uhr dar. Alle Beobachter können identische Uhren bauen, indem sie ihre Spiegelsysteme vergleichen und sicherstellen, daß der Abstand zwischen den parallelen Spiegeln immer exakt derselbe ist.

Abb. 8: Lichtuhr

Wir nehmen an, daß zwei Beobachter A und B identische Uhren dieser Bauart konstruieren und diese synchronisieren. Danach nimmt B seine Uhr mit in ein Raumschiff, dessen Geschwindigkeit relativ zu A einen großen Bruchteil der Lichtgeschwindigkeit erreichen kann. Die Spiegeloberflächen seiner Uhr justiert B parallel zur Bewegungsrichtung des Raumschiffes. Was B betrifft, so verhält sich alles genauso wie im Laboratorium von A, in dem die Uhren synchronisiert worden sind, solange sich das Raumschiff gleichförmig bewegt. Der Lichtimpuls läuft senkrecht zu den Spiegeloberflächen hin und her, und die Uhr tickt wie zuvor.

Das gilt jedoch nicht für den Beobachter A auf der Erde. Während B beobachtet, wie der Lichtimpuls von einem Punkt des unteren Spiegels direkt zu dem senkrecht darüberliegenden Punkt des oberen Spiegels läuft, sieht A, wie sich Bs gesamte Apparatur in der Zeitspanne bewegt, in der das Licht zum oberen Spiegel unterwegs ist. Angenommen die Apparatur bewegt sich nach rechts, dann sind sich A und B einig über den Punkt des oberen Spiegels, an dem der Impuls eintrifft. Doch da sich die Apparatur bewegt, ist dieser Punkt für A nicht mehr dort, wo er sich befand, als der Impuls den unteren Spiegel verließ. Der Lichtimpuls bewegt sich relativ zu A auf einer schrägen Geraden nach rechts oben und durchläuft daher eine Strecke, die größer ist als der senkrechte Abstand zwischen den Spiegeln (s. Abb. 9). Deshalb stimmen A und B nicht darin überein, wie weit der Impuls zwischen den Reflexionen gelaufen ist. Wir wissen aber, daß der Impuls für beide dieselbe Geschwindigkeit besitzt. Infolgedessen sind sie sich auch nicht darüber einig, wie lange der Impuls unterwegs war, d.h. wie groß die Periode der Uhr ist. Für A hat die Uhr von B eine längere Periode als seine eigene –
Bs Uhr tickt langsamer oder die Zeit von B vergeht langsamer. B stellt das gleiche im Bezug auf A fest, der sich relativ zu B gesehen nach links bewegt. Aus Bs Sicht tickt die Uhr von A langsamer. (vgl. [16] S. 46 f.)

Abb. 9: Die Lichtuhr im Raumschiff von A aus gesehen

 

 

4.7.3 Das Raum-Zeit-Kontinuum

Der Raum ist ein dreidimensionales Kontinuum, in dem man die Lage eines ruhenden Punktes durch drei Koordinaten (x,y,z) genau bestimmen kann. Zu jedem Punkt gibt es beliebig benachbarte Punkte, die durch die Koordinatenwerte x1, y1, z1 beschrieben werden können. Dabei können sich zwei benachbarte Punkte beliebig nahe kommen. Deswegen sprechen wir auch von einem Kontinuum. Da die Lage eines Punktes durch drei Koordinaten angegeben wird, nennen wir es ein dreidimensionales Kontinuum. In der vorrelativistischen Physik spielte die Zeit im Bezug auf das Raumkontinuum immer eine selbständige Rolle, die ihr jedoch durch die Relativitätstheorie abgesprochen wurde. Nach Einsteins Theorie kommt zu der Dreidimensionalität des Raumes noch eine vierte Dimension – die der Zeit (t) – hinzu. Jedes Ereignis wird nun durch die vier Koordinaten x, y, z, t beschrieben. Durch die Erkenntnis, daß Raum und Zeit relative Begriffe sind, muß man beide Teile zusammenfügen, um eine genaue Beschreibung der Welt zu erlangen. Diese raum-zeitliche Beschreibung der Welt findet im Raum-Zeit-Kontinuum statt. (vgl. [21] S. 53)

Da das Raum-Zeit-Kontinuum vier Dimensionen besitzt, wir aber gewohnt sind, nur in drei Dimensionen zu denken, soll nun eine Vereinfachung folgen. Anstatt mit einem dreidimensionalen Raum zu argumentieren, werden wir uns auf einen zweidimensionalen Raum beschränken und als dritte Dimension die Zeit einfügen, so daß wir im Ganzen wieder ein dreidimensionales Gebilde betrachten.

Angenommen, ein Stein fällt in einen See. Die Wellen breiten sich dann in einem Kreis aus, der im Laufe der Zeit größer wird. Nun stellen wir uns diese Situation als dreidimensionales Modell vor, das aus der zweidimensionalen Oberfläche des Sees und der Zeit als der dritten Dimension besteht. Der sich ausbreitende Wellenkreis bildet einen Kegel, dessen Spitze Ort und Zeitpunkt beschreibt, an dem der Stein ins Wasser fiel (s. Abb. 10).

Abb. 10: Raum-zeitliche Beschreibung eines Steins, der ins Wasser fällt

Entsprechend bildet das von einem Ereignis ausgehende, sich ausbreitende Licht einen dreidimensionalen Kegel in dem eigentlich vierdimensionalen Raum-Zeit-Kontinuum. Wir bezeichnen diesen Kegel als Zukunftslichtkegel des Ereignisses. Analog dazu können wir auch einen Vergangenheitslichtkegel konstruieren, der alle Ereignisse beinhaltet, von denen aus ein Lichtpuls das betreffende Ereignis erreichen kann (s. Abb. 11).

Abb. 11: Zukunfts- und Vergangenheitslichtkegel

Durch Zukunfts- und Vergangenheitslichtkegel wird das Raum-Zeit-Kontinuum in drei Regionen unterteilt. Die absolute Zukunft eines Ereignisses P ist der Bereich innerhalb des Zukunftslichtkegels des Ereignisses P. Sie ist die Summe der Ereignisse, die durch das Geschehen in P beeinflußt werden können. Ereignisse außerhalb des Lichtkegels von P können durch Signale von P nicht erreicht werden, da sich nichts schneller als mit Lichtgeschwindigkeit ausbreiten kann. Die absolute Vergangenheit von P ist der Vergangenheitslichtkegel von P,
in dem solche Ereignisse enthalten sind, die das Geschehen in P beeinflussen können. Im ‘‘Nichts’‘ sind solche Ereignisse enthalten, die außerhalb des Zukunfts- bzw. Vergangenheitslichtkegels eines Ereignisses liegen und daher weder das Geschehen in P beeinflussen, noch von ihm beeinflußt werden können. Würde z.B. jetzt die Sonne erlöschen, so würden wir dieses Ereignis erst in ca. acht Minuten registrieren, da wir erst dann in den Zukunftslichtkegel dieses Ereignisses eintreten, denn das Licht benötigt ca. acht Minuten von der Sonne bis zur Erde (s. Abb. 12). Zum Zeitpunkt des Erlöschens der Sonne würden wir uns noch im ‘‘Nichts’‘ befinden. Deshalb sind alle Beobachtungen, die wir machen, ein Rückblick in die Vergangenheit. Dabei können aber die Ereignisse, die wir jetzt registrieren, in der Zeit weit auseinander liegen. Wir sehen die Sonne so, wie sie vor acht Minuten aussah. Und gleichzeitig sehen wir Sterne, wie sie vor Milliarden von Jahren ausgesehen haben. Uns erscheint dies alles als das große ‘‘Jetzt’‘. (vgl. [10] S. 40-44)

Abb. 12: Ereignis – die Sonne erlischt

 

 

5 Fernöstliche Philosophien

Da das Ziel dieser Arbeit darin liegt, Parallelen zwischen den physikalischen Erkenntnissen des 20. Jahrhunderts und den fernöstlichen Philosophien aufzuzeigen, sollen nun einige philosophische Systeme des fernen Osten vorgestellt werden.

 

5.1 Hinduismus

Vor ca. drei- bis viertausend Jahren ließen sich kaukasische Siedler in Nordindien nieder, die aus Persien und Afghanistan kamen. Sie wurden als Hindus bekannt. Ihre Religion – der Hinduismus – zeichnet sich bis heute durch eine tiefe Ehrfurcht vor dem gesamten Mysterium des Lebens aus. Die Hindus streben nach der Wahrheit über die Existenz und den Sinn und Zweck des Lebens. Weg zur Erkenntnis ist die Meditation. Zum Meditieren trafen sie sich in den Wäldern, wo sie die kosmischen Fragen besprachen und Erfahrungen austauschten. Manche dieser Einsiedler aus den Wäldern, die Rishis genannt wurden, gelangten – ähnlich wie die Propheten des alten Testaments – zu tieferen Einsichten über den Menschen und seine Stellung in der Welt. Ihre Lehren wurden gesammelt und mündlich überliefert. Ihre schriftlichen Aufzeichnungen sind als Veden bekannt geworden, deren zutiefst intuitive Lehren Upanischaden genannt werden. (vgl. [1] S. 13 f.)

5.1.1 Die Einheit aller Dinge

Der zentrale Kern des Hinduismus ist der Glaube an die Einheit aller Dinge. Sie glauben, daß Gott, der im Hinduismus als die absolute Wirklichkeit bezeichnet wird, alle Wertebegriffe übersteigt und sich so allen wörtlichen Darstellungen ent-zieht. Das bedeutet jedoch nicht, daß Gott unerreichbar und nicht faßbar wäre, denn für die Hindus ist er der unveränderliche, ewige Urgrund der Menschheit. Er ist das Universum, und alles, was besteht, sind Erscheinungen dieser einen Wirk-lichkeit. Gott ist die Einheit, in der die Welt lebt und nur unsere Unkenntnis dieser Wirklichkeit läßt uns die Welt als ein System voneinander getrennter Wesen und Dinge erscheinen. Deshalb besteht die Welt für uns aus einer Vielzahl verschiede-ner Existenzen. Doch wenn wir Gott als die Unität erkennen, die über all dieser Vielfalt steht und wenn wir die letztendliche Einheit aller Dinge erkennen, werden wir zu der Erkenntnis gelangen, daß auch wir eins sind mit allen Dingen. Denn auch wir sind Teil des Göttlichen und haben keine Eigenständigkeit im Bezug auf den Rest der Welt. Gott steht über allen Dingen und doch ist er eins mit ihnen,
„… so wie ein Mensch über seinen Gliedern steht und doch die Einheit dieser Glieder ist.“ [1] S. 11

5.1.2 Die Beziehung zwischen Gott und Mensch

Die Hindus glauben an das Göttliche in jedem Menschen, das der Urgrund des Menschen ist und sie versuchen, dieses wahre Selbst – das Göttliche – in sich zu erreichen und so zu dem wahren Selbst – zu Gott – zurückzukehren. Daher sprechen die Hindus von Gott auch als dem Selbst, als dem Wissen um das eigene Sein. (vgl. [1] S. 11)

„In einer hinduistischen Schrift versucht ein Vater seinem Sohn dies zu erklären. Er fordert den Jungen auf, ein wenig Salz in eine Tasse mit Wasser zu schütten und etwas später wieder zu kommen. Als es der Sohn getan hatte, bat er ihn, von der Oberfläche, von der Mitte und vom Grund zu nippen. Dann fragte er:

‘Wie schmeckt es?’
‘Salzig’.
‘Stell es zur Seite! Dann komm her zu mir!’
Er (der Junge) tat es und sagte: ‘Es schmeckt immer gleich.’ (Das Salz konnte er nicht finden, da es sich völlig aufgelöst hatte.)
Dann sagte er zu ihm: ‘Wahrlich, in der Tat, mein Lieber, du nimmst hier die Existenz nicht wahr. Wahrlich, in der Tat, sie ist hier.’
‘Das, was feinste Wesenheit ist – die ganze Welt besitzt es in ihrem Selbst. Das ist Wirklichkeit … Das bist du, Svetaketu.’“ [1] S. 11

Das Selbst wird auch mit Brahman betitelt, als die Quelle aller Dinge. Weitere Synonyme sind Höchste Seele, Gott der Weisheit, Allumfassendes Bewußtsein. Brahman wird von den Hindus jedoch nicht verehrt, da es für sie jenseits dessen liegt, was man – im gewöhnlichen Sinne des Wortes – verehren kann. Die Meditation führt, nach Meinung der Hindus, zur direkten Erfahrung des Es. Ist dieser Zustand erreicht löst sich der Mensch in das Es auf und wird eins mit allen Dingen.

Die Hindus glauben, Brahma – der Schöpfer der materiellen Welt und Hinduistischer Gott – hätte die Welt willentlich zur Entstehung gebracht durch Ausatmen der Worte: ‘‘Auf daß ich Vielheit sein möge.’‘ Da er also die Welt durch einen Willensakt geschaffen hat, enthält er sie und nimmt sie letztlich wieder in sich auf. So wird in der Chandogya Upanischade von Brahman als Tajjalan gesprochen, als von dem, woraus alle Dinge geboren werden, worin alles sich auflöst und in dem alles atmet und sich bewegt. Daß das Göttliche der Urgrund des menschlichen Seins ist und in jedem Menschen wohnt, wird sehr schön von R.E. Hume in ‘‘The Thirteen Principal Upanishads’‘ beschrieben:

„Wer aus Geist besteht, wessen Körper Leben (Prana) ist, wessen Form Licht, wessen Wesen die Wahrheit, wessen Selbst der Raum ist, der alle Werke, alle Wünsche, der alle Düfte, der alle Geschmacksrichtungen enthält, der diese ganze Welt umfaßt, das Unaussprechliche, das Unbeteiligte – dieses mein Selbst in meinem Herzen ist kleiner als ein Reiskorn, kleiner als ein Gerstenkorn, kleiner als ein Senfkorn, kleiner als ein Hirsekorn, sogar kleiner als der Kern im Hirsekorn; dieses mein Selbst in meinem Herzen ist größer als die Erde, größer als der Luftkreis, größer als der Himmel, größer als alle Welten. … dies ist mein Selbst im Herzen, ist Brahman. In ihn werde ich eingehen, wenn ich von hier scheide.“ [1] S. 12 f.

Dieses ewige Selbst, Brahman, existiert in jedem Menschen und ist die Grundlage der bewußten Persönlichkeit und des veränderlichen, vergänglichen Körpers. Das, was wir über uns selbst wissen, ist abhängig von Zeit- und Raumbegriffen, aber der Atman – das Selbst im Menschen, auch Seele genannt – ist des Menschen Wesenheit, es ist der ewige Urgrund aus dem heraus er sieht, hört, tastet, fühlt und denkt. Auf diese Weise ist die hinduistische Seele identisch mit dem kosmischen Selbst. Das höchste spirituelle Ziel der Hindus ist es, sich mit dem Selbst zu vereinen und die Schranken zu beseitigen, die zwischen dem menschlichen Geist liegen und dem kosmischen Selbst, dem er entspringt. (vgl. [1] S. 13) Dadurch, daß in jedem Ding ein Teil des kosmischen Selbst enthalten ist, stehen für die Hindus auch alle Dinge der Welt in einer ständigen Beziehung zueinander. Sie befinden sich in einem stetigen Wechsel von Handlung und Rückwirkungen, was als Karma bezeichnet wird. (vgl. [1] S. 17)

5.2 Buddhismus

Der Buddhismus ist eine Religion, die mit dem Hinduismus sehr verwandt ist, da er aus ihm hervorgegangen ist, sich aber in der Art und Weise, zur Erleuchtung zu gelangen, vom Hinduismus unterscheidet. (vgl. [1] S. 68) Im Gegensatz zum Hinduismus beschäftigt sich der Buddhismus nicht mit Fragen nach dem Ursprung der Welt oder der Natur des Göttlichen. Der Buddhismus ist eine zutiefst psychologische Religion, d.h. er beschäftigt sich mit der Situation des Menschen. Der Buddhismus weist auf den Ursprung menschlicher Frustrationen hin und auf den Weg, diese zu überwinden. (vgl. [2] S. 97)

5.2.1 Der Weg des Buddha

Im Jahre 563 vor Christus wurde der Königssohn Siddhartha Gautama in Nordindien geboren. Er wuchs als Hinduist auf und führte ein Leben in Reichtum und Pracht. Begegnungen mit alten und kranken Menschen sowie mit einem Mönch brachten Siddhartha zu zwei Erkenntnissen. Zum einen wurde er gewahr, daß die letzte Erfüllung niemals auf physischer Ebene erreicht werden könne wegen der Vergänglichkeit des Körpers; und zum anderen erkannte er, daß es Menschen gab, nämlich Mönche, die nach einer Lebensweise suchten, die nicht durch Vergänglichkeit und Tod beschränkt war und die sich deshalb von der Welt zurückzogen.

Als er dies erkannte, flüchtete er aus dem höfischen Leben. Die materiellen Dinge bereiteten ihm keine Freude mehr, und so machte er sich auf den Weg in ein anderes Leben. Er schor seinen Kopf und machte sich auf in die tiefen Wälder, um dort eine Antwort auf seine Frage über Leid und Tod zu suchen. Sechs Jahre lang führte er ein Leben als Asket, der allen weltlichen Freuden entsagte. Am Beginn seines Weges ging er zu zwei angesehenen hinduistischen Weisen und ließ sich von ihnen in das Raja Yoga – eine hinduistische Form der Meditation – einweisen. Doch es kam der Zeitpunkt, an dem sie ihn nichts mehr lehren konnten. Daher verließ er sie und schloß sich einer Gruppe von Wandermönchen an, die ihr Leben in vorsätzlicher Härte führten. Er aber übertraf sie in allen asketischen Übungen. Mit 35 Jahren gelangte er dann zu der Einsicht, daß er die Erleuchtung nicht durch Härte zu sich selbst erlangen würde. So gab er das Leben als Asket auf und trennt sich von seinen Begleitern.

Er wanderte nach Gaya, einer Stadt in Nordindien, wo er sich eines Abends unter einem Baum niederließ. In der kommenden Nacht blickte er zurück und erkannte, daß er sein Ziel, die Erleuchtung zu finden, aus eigener Kraft nicht erreichen könne. Doch sein Wunsch, die letztendliche Wahrheit zu erkennen, war größer als jeder andere Wunsch. Das Bewußtsein, daß er an die Grenzen seiner eigenen Bemühungen gelangt war, führte ihn in das letzte Stadium, das zur Erleuchtung notwendig ist: Die Aufgabe seines Selbst. Durch die Anerkennung seiner eigenen Ohnmacht und die Nutzlosigkeit aller Errungenschaften seines geschulten Geistes wurde die endgültige Entleerung seines Selbst bewirkt, was ihn zum kosmischen Selbst führte – er war erleuchtet und wurde zum Buddha, dem Erwachten. (vgl. [1] S. 68-72)

5.2.2 Die Lehre Buddhas

Der zentrale Kern der buddhistischen Lehre drückt sich darin aus, daß der Mensch aufgefordert wird aktiv zu sein. Der Mensch soll die Lehren nicht einfach als Dogma anerkennen, sondern er selbst soll die Lehren prüfen. Buddha hat bis zu seinem Tod immer wieder darauf hingewiesen, daß das Wichtigste auf dem Weg zur Erleuchtung intensive eigene Bemühungen sind. Die eigentliche Lehre Buddhas wird durch die vier edlen Wahrheiten ausgedrückt.

5.2.2.1 Das Leiden

Die erste dieser vier Wahrheiten ist das Leiden, wobei er mit ‘‘Leiden’‘ die Nöte des Daseins meint, die allem Leben gemein sind, wie der Schmerz des Alterns, der Schmerz der Krankheit, die Angst vor dem Tod; aber auch Kummer, Trennung und Verzweiflung sind für ihn schmerzhaft und zählen somit zum Leiden.

Neben physischem Leiden existiert für die Menschen aber auch ein Leiden, das durch das Gefühl entsteht, an ihr unvollkommenes Selbst gefesselt zu sein. Diesem Gefühl des Unbefriedigtsein und Unerfülltsein entrinnen nur wenige. Es entsteht dadurch, daß der Mensch zu der Einsicht kommt, sich nicht alle Wünsche erfüllen zu können, was eine Enttäuschung für den Menschen ist.

Eine dritte Art des Leidens ist das existentielle Leiden, das dadurch entsteht, daß wir an bestimmten – uns bekannten – Dingen hängen wie Freunde, Haus, der eigenen Persönlichkeit usw. und selten wagen, dem Unbekannten zu begegnen.

5.2.2.2 Die Ursache des Leidens

Die zweite edle Wahrheit ist Tanha, der unbewußte Lebenshunger, der die Ursache des Leidens ist. Wir versuchen, das Leben zu besitzen und klammern uns daher an dem Leben fest. Daher haben wir Angst vor dem Tod, was wieder ein Art des Leidens ist. Buddha hat dabei erkannt, daß am Leben oder Sterben nichts falsch ist, sondern nur unsere Einstellung dazu. Wir sehnen uns nach Bewußtseinszuständen wie Glück und Freude und halten daran fest, doch am meisten klammern wir uns an unsere eigene Persönlichkeit, an das Gefühl vom ‘‘Ich’‘. Aber gerade das Gefühl, eine Persönlichkeit zu sein, erzeugt das Bewußtsein der Isolierung und läßt uns all die Dinge anstreben, die diese isolierte Existenz befriedigen könnten. Dieses ‘‘Ich-Bewußtsein’‘ entwickelt eine Eigendynamik, die darauf abzielt, das Ego weiter zu nähren und die uns die natürliche Harmonie mit dem Leben nicht erkennen läßt. Dabei verschwindet auch unser Verständnis für den Sinn und Zweck des Lebens. Wir hängen einer Selbsttäuschung nach, die uns die natürlichen Zusammenhänge in der Welt nicht erkennen läßt.

5.2.2.3 Die Beendigung des Leidens – das Nirvana

Bei der dritten edlen Wahrheit spricht Buddha von der Möglichkeit, durch die Befreiung von dem unersättlichen Ego und die Vernichtung jeglichen Verlangens das Leiden zu beenden. Dies ist der Zustand, in dem man die Wahrheit sieht, das Nirvana.

Für Buddha ist die Wahrheit der Welt in der Einsicht der Relativität jedes Dinges zu finden. Hinter allem, was wir sehen, betrachten, schmecken oder denken, steht die absolute Wahrheit, die Einheit aller Dinge, doch wir Menschen erkennen diese Einheit nicht, da alle unsere Empfindungen an Objekte gebunden sind. Alles was wir erleben, scheint für uns von der Umwelt ins Leben gerufen zu werden. Wir sind nicht in der Lage, grundlos Ärger, Freude, Angst oder Erstaunen zu empfinden, nur weil wir es wollen. Solche Gefühle sind immer an bestimmte Handlungen oder Einflüsse gebunden, die von unserer Umwelt anhängen. So kann selbst das Alter nur im Zusammenhang mit der Tätigkeit des Körpers gefühlt werden. Unsere eigentliche Mitte ist jedoch frei von solchen Einflüssen, sie ist immer da und von der Welt entleert. Trennen wir uns von unserem Ego und schauen dahinter, werden wir erkennen, das unsere Mitte nicht das Ego ist, sondern die Leere, in der die Einheit aller Dinge zum Vorschein kommt. Hat man diese Leere in sich geschaffen, erkennt man im Ego die Konstruktion des eigenen Geistes und es stirbt ab. Mit seinem Tod vergehen Begierden und Abneigungen, die das Ego am Leben hielten und der Mensch ist frei, nicht selbstbewußt und er lebt spontan im Einklang aller Dinge, frei von den Gesetzen des Karma. Dabei verstehen wir unter den Gesetzen des Karma den Glauben daran, daß jede gute oder schlechte Tat einen Vergeltungsprozeß in einem folgenden Leben freisetzt, denn die Buddhisten glauben an die Reinkarnation – Wiedergeburt. (vgl. [1] S. 74-79)

5.2.2.4 Der Weg ins Nirvana

Die letzte der vier edlen Wahrheiten ist der Weg, den der Mensch beschreiten muß, um das Ende des Leidens zu erlangen – der Weg ins Nirvana. Buddha beschreibt diesen Weg als den achtgliedrigen edlen Pfad, der aus folgenden Stufen besteht:

  • Rechte Erkenntnis
  • Rechte Gesinnung
  • Rechte Rede
  • Rechte Tat
  • Rechter Lebenserwerb
  • Rechte Anstrengung
  • Rechte Achtsamkeit
  • Rechtes Gesammeltsein

Buddha wollte mit seiner Lehre alle Menschen erreichen, vom höchsten König bis zu den Ärmsten und Ausgestoßenen. Daher zog Buddha als Prediger durch die Lande, so daß jeder Mensch die Möglichkeit hatte, seine Worte zu vernehmen. Die Botschaft, die Buddha den Menschen brachte, enthielt einige Handlungen, die von jedem Menschen getätigt werden konnten und die die Menschen aus ihrem Leiden führen sollten.

Der Buddhismus beruht auf den Prinzipien moralischer Lebenswandel, Geistesschulung und Weisheit. Dabei sind drei der Stufen des achtgliedrigen Pfades im moralischen Lebenswandel enthalten, welcher sich selbst auf Liebe und Mitleid gründet. Buddha lehrt, daß wir uns unserer Neigung zu falscher Rede bewußt werden müßten wie liebloses Klatschen, Lügen, Härte und Unachtsamkeit gegenüber den Gefühlen anderer Menschen, was Haß und Elend erzeugt. Auch sollen wir uns unserer schlechten Taten bewußt werden, wie Zerstörung, Grausamkeit und Unehrlichkeit und auch unseren Hang zu einer falschen Lebensführung erkennen, wie das Ausnutzen oder Schädigen anderer durch den Beruf. Wenn wir diese Neigungen in uns erkennen, dann werden wir sie nicht mehr auf die Außenwelt projizieren und lernen so, alle Menschen zu tolerieren und zu lieben auf eine selbstlose, teilnehmende Art, die zu einer harmonischen Gesellschaft führt. Ohne moralischen Lebenswandel kann sich nach Meinung der Buddhisten kein geistiges Verständnis entwickeln. Dabei fallen unter den Grundsatz der Geistesschulung rechte Anstrengung, rechte Achtsamkeit und rechtes Gesammeltsein.

Rechte Anstrengung meint dabei den Willen, sich nicht mehr als unvermeidlich vom Pfad abbringen zu lassen und fest zu bleiben, in dem Entschluß, ihn zu beschreiten.

Die rechte Achtsamkeit zu üben, ist ein Teil der buddhistischen Praxis. Ihr Ziel ist es, sich seiner Handlungen voll bewußt zu werden, damit man wachsam bleibt und die Kontrolle über seine Handlungen behält. Lenken wir unsere Aufmerksamkeit auf das, was jetzt geschieht, ohne uns von Erinnerungen und Zukünftigem ablenken zu lassen, werden wir zu einem neuen herrlichen Seinsgefühl gelangen. Alles, was wir betrachten, wird uns klar und wunderbar erscheinen, in sich selbst ruhend und unberührt von Klassifizierung und Beurteilung. Doch auch dies ist nur eine beiläufige Belohnung, denn als Endziel sollen wir völliges Bewußtsein erlangen über die Prozesse, die den inneren Geist wie auch die Außenwelt aufbauen.

Rechtes Gesammeltsein üben wir beim Meditieren. Dies soll eine Geistesschulung sein, bei der das Denken zum völligen Schwinden gebracht wird. Dabei wird eine ruhige Konzentration gefördert, die von Gefühlen wie Freude und Wohlwollen begleitet wird. Wenn dann auch diese Gefühle absterben, bleibt als höchstes Ziel ein klares, transzendentes Bewußtsein.

Die schwierigsten Stufen sind das Erlangen der rechten Erkenntnis und der rechten Gesinnung. Zur rechten Erkenntnis gehört das Verständnis für die vier edlen Wahrheiten und somit auch das Verständnis für die letzte Wirklichkeit selbst. Wenn wir heute behaupten, etwas verstanden zu haben, dann meinen wir, wir könnten bestimmte Dinge argumentativ, logisch erklären. Man sagt: ‘‘Das ist so, weil…’‘. Doch für die Buddhisten ist wahres Verständnis die reine Erkenntnis eines Dings an sich, ohne es benennen – also in Worte kleiden – zu müssen.

Um zur rechten Erkenntnis zu gelangen, benötigt der Mensch die rechte Gesinnung, das bedeutet die Annahme der Selbstaufgabe. Dazu gehört das Wissen, das das Ego enden wird, um durch selbstlose und erleuchtete Liebe ersetzt zu werden. Denn die wirkliche Einsicht in die eigene wesentliche Natur bringt vier erhabene Bewußtseinszustände hervor:

  • Wohlwollen
  • Mitleid
  • heitere Sympathie
  • Gleichmut

Wenn sich also ein Mensch an diesen achtgliedrigen Pfad hält und bewußt lebt, soll er nach Meinung der Buddhisten ins Nirvana gelangen. (vgl. [1] S. 80 ff.

5.3 Taoismus

Der Taoismus ist eine Religionsphilosophie aus China, wobei das Tao vergleichbar ist mit dem kosmischen Selbst der Hindus oder auch mit der Selbsterkenntnis und der Überwindung des Ich der Buddhisten. Dabei ist auch hier das Tao über jede Beschreibung des menschlichen Geistes erhaben. So schreibt Lao-Tse, der als Begründer des Taoismus gilt, im 6. Jahrhunder v. Chr.:

„Der Weg
Das Dasein zu erklären,
Das geht über der Worte Macht:
Begriffe mögen benutzt werden,
Doch keiner ist absolut.
Im Anbeginn von Himmel und Erde
Gab es keine Worte,
Worte entsprossen dem Schoß der Materie.
Und ob ein Mensch leidenschaftslos
Bis in die Tiefe des Lebens schaut
Oder in Leidenschaft
Nur die Oberfläche erblickt,
Die Tiefe und die Oberfläche
Sind wesentlich das Gleiche,
Worte nur machen sie scheinbar verschieden,
Um dem Erscheinungsbild Ausdruck zu verleihen.
Wäre ein Name vonnöten,
Wunder hießen sie beide.
Von Wunder zu Wunder
Öffnet sich das Dasein.“ [1] S. 182

Da man aber darauf Bezug nehmen muß, nennt man es gewöhnlich den Weg. Das Tao meint dabei den Weg des Lebens selbst. Dieser kann jedoch nicht mit den Mitteln des Intellekts gefunden werden, sondern er muß intuitiv entdeckt werden.

Das Tao enthüllt sich im aktiven Leben, indem man den Weg in jedem einmaligen Augenblick des Lebens erkennt. Aus diesem Grund besitzt das Tao auch kein Dogma, denn das ständig wechselnde Fließen und Wachsen des Lebens selbst kann nicht an Regeln gebunden werden, ebensowenig wie durch intellektuelle Kategorien, die der Mensch erfindet.

Für die Taoisten muß der Mensch seine eigene Beziehung zum Tao finden, sein eigenes Verständnis der Wahrheit, die Verfolgung des Lebens innerhalb seines eigenen Lebens. (vgl. [1] S. 183 f.) Der Taoismus sagt:

„Tauche ein und fließe mit. Nimm, was auf dich zukommt, mit fröhlicher Bewußtheit an. Erkenne das Universum als den schöpferischen Reigen des Tao und halte Gleichschritt mit ihm. Das Reich des Tao ist das Reich der inneren Wesenheit des Menschen, seine Realität. Mit dem Tao in Übereinstimmung leben, heißt, mit seinem eigenen Sein eins sein. Daher ist Tao sowohl Weg als auch Ziel.“ [1] S. 184

5.3.1 Der Glaube der Taoisten

Die Taoisten glauben, daß sich der Mensch durch sein Denken in den von ihm geschaffenen Werten, Normen und Begriffen, durch seine intellektuelle Betrachtung der Welt selbst den Blick auf die wahre Natur des Lebens versperrt. Das von Lao-Tse verfaßte Hauptwerk des Taoismus, das Tao Te King enthält die Lehren des Taoismus und ist nach der Bibel das weltweit am häufigsten verbreitete Buch. Obgleich ‘‘Te’‘ meist mit ‘‘Tugend’‘ übersetzt wird, besteht doch die Botschaft Lao-Tse´s darin, daß der herkömmliche Tugendbegriff, wie wir ihn kennen, bereits einer Gesellschaft angehört, die den Blick für die wahre Tugend längst verloren hat. Der gesellschaftliche Tugendbegriff ist angelehnt an von der Gesellschaft geschaffene Normen und Werte, die nicht in Einklang sind mit dem natürlichen Weg des Lebens. Die wahre Tugend hingegen entspringt einem inneren Gleichgewicht, das dem Taoisten eine solch harmonische Wechselwirkung mit seiner
Umgebung verschafft, daß alle Handlungen in vollkommener Spontaneität ausgeführt werden, ohne an Tugend im gesellschaftlichen Sinne zu denken. Auch gibt es im Taoismus keine Sünde, denn für den Taoisten entspringt die Moral aus dem inneren Zustand eines Menschen und wird nicht von außen an ihn herangetragen. Schlechtes Benehmen wurde deshalb auf Unwissenheit und Dummheit zurückgeführt, denn kein Mensch würde wissentlich den natürlichen Weg verletzen. Wenn der Mensch jedoch in Einklang mit den Gesetzen des Universums lebt, führt das die Heiterkeit des Gemüts herbei, was als Vorbedingung für das alltägliche Leben angesehen wird. Hingegen wird das Leben nach Regeln als eine Form falscher Sicherheit betrachtet. Durch das Befolgen von Regeln kann ein oberflächliches Gefühl von Ordnung erweckt werden, doch in Wirklichkeit ist es unmöglich, das Leben in starre Formen zu pressen. Das Leben paßt sich nicht an die sozialen Regeln der Menschen an, sondern die Menschen müssen sich und ihre Handlungen dem natürlichen Lauf des Lebens anpassen.

Echte Sittlichkeit entspringt aus Weisheit, aus dem Einklang mit dem natürlichen Lauf der Dinge, und der Taoismus hält es für besser, daß die Menschen lernen, weise zu werden, als mit ethischen Gesetzen übereinzustimmen.

In der taoistischen Vorstellung ist das Universum von Natur aus gut und der Mensch darin von Natur aus glücklich. Im Taoismus gibt es so etwas wie die Hölle oder den ‘‘gefallenen’‘ Menschen nicht und folglich auch nicht die Notwendigkeit der Erlösung. Der Taoist wünscht sich nichts, was mit seiner wahren, eigentlichen Natur nicht in Einklang steht. Für ihn gibt es keine Trennung zwischen dem Heiligen und dem Alltäglichen, denn alle Dinge greifen für ihn ineinander.

Das Tao Te King beschreibt einen spontanen, unbewußten Weg, das Leben zu meistern, eine Art und Weise, die uns heute sehr fremd erscheint. Wir füllen unser Leben mit immer mehr Sinnesbefriedigungen an und übersehen dabei – vielleicht zu unserem Schaden – die Quelle unseres Ich. (vgl. [1] S. 185-188)

„Laß deshalb das Verlangen zur Ruhe kommen, während du dem Mysterium nachsinnst; wenn das Verlangen regiert, schaust du nur seine äußeren Erscheinungen.“ [1] S. 188

5.3.2 Yin und Yang

Yin und Yang sind die Symbole für Dualität (s. Abb. 13). Sie sind älter als der Taoismus und werden dem ersten chinesischen Herrscher Fu-hsi 2852 v. Chr. zugesprochen. Man glaubt, aus dem Tao – dem undifferenzierten Einen – erwachse die Dualität, alle die paarweise sich ergänzenden Daseinsformen in der Natur, wie männlich und weiblich, Norden und Süden, schwarz und weiß, gut und böse. Diese Dualitäten werden durch Yin und Yang symbolisiert. Man darf sie sich jedoch nicht als Einzelwesen vorstellen, sondern als in ewiger Wechselwirkung bestehende Prinzipien.

Abb. 13: Yin und Yang

Die Qualität von Yin ist dunkel, negativ und feminin, es ist das uranfängliche Chaos, dem Schöpferkraft und Geburt entspringen. Daher ist Yin auch der Zustand der inneren Kraft. Da Yin als dunkel empfunden wird und es den dunklen Schoß symbolisiert, aus dem das Licht des Intellekts – Yang – geboren ist, verbindet man damit auch die Begriffe von Ruhe und Frieden. Yang hingegen ist Bewegung, es ist das Prinzip des Lichts, der Sonne, der Männlichkeit und des Geistes. Yang ist Gerechtigkeit und Genauigkeit. Dahingegen ist Yin Barmherzigkeit und Weisheit. Yang ist aktiv und aggressiv, Yin sanft und rezeptiv.

Im Diagramm von Yin und Yang werden die wirkenden Kräfte der Welt, wie weiblich und männlich, positiv und negativ, gleichwertig und ausgewogen dargestellt. Man findet diese beiden Prinzipien in allem, was existiert. Weil Yin und Yang nicht statisch sind, sondern sich ständig gegenseitig beeinflussen, sieht man in dem Diagramm den Keim des einen in seinem Gegenpol enthalten. In dem Diagramm erkennt man dies an dem schwarzen Punkt im weißen Feld und dem weißen Punkt im schwarzen Feld.

Obwohl sie als Gegenpole bezeichnet werden, erfolgt ihr Handeln immer in Zusammenarbeit, um richtige Ausgewogenheit zu erreichen. Deshalb sollte ein betont intellektueller Mensch (Yang) auch etwas Intuitives (Yin) in sich beherbergen, um ausgewogen und harmonisch abgerundet zu sein.

Viele Menschen meinen, daß unsere westliche Kultur und Gesellschaft zu sehr Yang-behaftet sei. So hat sich unser gesellschaftliches Gewicht zugunsten von Aggressivität und Intellekt verschoben. Wir beurteilen nur Dinge, die durch den rationalen, analytischen Geist erfaßt werden können. Dabei übersehen wir aber, daß der Geist nur die nennbaren, äußeren Erscheinungen erkennen kann und es versäumt, von deren inneren, unantastbaren Natur Kenntnis zu nehmen, was über die Intuition, also Yin, möglich wäre. Gemäß dem Taoismus bringt eine Gesellschaft, in der es ein Gleichgewicht zwischen Yin und Yang gibt, den Weisen hervor, der im Ausgleich zwischen Yin und Yang dem Tao folgt. (vgl. [1] S. 188-192)

„Wesentlich für Yin und Yang ist das Gesetz des Wandels. Das Tao hat keine Gegenseite; es ist der Absolute Urgrund, rein, ewig und unveränderlich. Wenn es sich aber einmal in der Dualität von Yin und Yang manifestiert, findet man keine Absolutheit in jeglicher Manifestation. Alle gegensätzlichen Paare können gegenseitig ausgetauscht werden und tun das jederzeit. Glück verwandelt sich in Trauer, Leben wird zu Tod, Tag wandelt sich in Nacht.“ [1] S. 192

5.4 Zen

Durch eine Vermischung von Buddhismus und Taoismus im China des sechsten Jahrhunderts entstand eine Form von Buddhismus, die heute unter ihrem japanischen Namen Zen bekannt ist. Ziel der Begründer diese Lehre war, es eine unmittelbare Hinführung nicht nur zu Buddhas Worten, sondern auch zu dessen Erfahrungen zu erlangen. Dabei sollte der Mensch durch das Beiseiteschieben von intellektuellen Begriffen und Erklärungen mit einer kompromißlosen Geradlinigkeit zu einem konkreten Wissen aus erster Hand geführt werden. (vgl. [1] S. 141)

5.4.1 Worum es sich beim Zen handelt

Ziel des Zen ist es, satori – Erleuchtung – zu erlangen. Es kommt darauf an, die göttliche Natur der alltäglichen und augenblicklichen Welt zu erkennen. Satori ist der japanische Ausdruck für den Augenblick des Erwachens zum Leben, wie es ist. Die plötzliche Erfahrung der Alltagswelt, wie sie in sich selbst ist, führt zu einer außerordentlichen, zeitlosen Einsicht in den Lauf des Lebens. In dieser Erkenntnis verschwindet jeglicher Dualismus zwischen Subjekt und Objekt. Wo das Subjekt – das Ich – ist, scheint es kein Ich zu geben, sondern eine wundervolle Klarheit und Befriedung. Dieser Augenblick ist die Befreiung aller eigenen geistigen Prozesse, wie die Beurteilung des Zustands der Welt, Gedanken über Nachbarn und Freunde oder Angst über die eigene Stellung im Leben. All dies fällt von dem Menschen ab und macht ihn frei, die Welt zu erkennen, als wäre es das erste Mal.

Zen ist unabhängig von heiligen Schriften und Ritualen. Die wesentliche Lehre des Zen wird in folgenden vier Zeilen zum Ausdruck gebracht:

„Eine besondere Übermittlung außerhalb der Heiligen Schriften;
Keine Abhängigkeit von Worten und Buchstaben;
Direktes Hinführen zum menschlichen Geist;
Hineinschauen in die eigene Natur.“ [1] S. 144 f.

Zen duldet darum auch keine Anlehnung an Autoritäten, nicht einmal an einen Buddha selbst, sondern es rät dem Suchenden, nichts zwischen sich und seine direkte Erfahrung der Ich-Natur treten zu lassen. Doch in dieser Art, ohne Dogma und Riten, liegt die wahre Spiritualität des Zen. Das Problem der Menschen ist, nach Meinung des Zen, daß sie zu hochmütig sind, um den Wert dessen zu erkennen, was direkt neben ihnen steht. Für die Menschen ist die Wahrheit eher dann erstrebenswert, wenn sie ein weit entferntes und fast unerreichbares Ziel ist. Aber Zen steckt im Leben selbst, im eintönigen Fluß der gewöhnlichen Alltagserlebnisse.

„‘Gerade im Augenblick’ – im Kochen einer Mahlzeit oder im Erreichen eines Busses – liegt das ganze Wunder und Geheimnis des So-Seins des Lebens. Erfasse den Augenblick, bevor er entschwindet; wirf die gefärbte Brille der Gedanken und Meinungen weg, den wertlosen Ballast deines Ich und erkenne den Augenblick, wie er ist -, den ununterbrochenen Fluß des Lebens, die zehntausenderlei Dinge in ihrem So-Sein. Das ist Zen, ein Dasein ohne Fesseln, denn die Fesseln des Ich sind zerbrochen worden. Zen ist direkte und augenblickliche Bewußtwerdung des Lebens, wie es ist, in seinem Wesen, weit verschieden von bloßen Gedanken und Gefühlen darüber.“ [1] S. 145

Dabei besteht die ganze Absicht der Zen-Offenbarung darin, menschlich zu sein, glücklich zu sein, wenn andere glücklich sind und Mitgefühl zu empfinden, wenn sie traurig sind – lebe uneigennützig. (vgl. [1] S. 143-148)

5.4.2 Die Praxis des Zen

Das Besondere an der Praxis des Zen ist die Technik des direkten Zeigens. Dies ist eine intuitive Denkweise, die versucht, den Intellekt auszuschalten und Tatsachen gern als Tatsachen ohne Kommentar weitergibt. Die Zen-Meister, die alles Theoretisieren und Spekulieren verachten, haben eine Methode entwickelt, die direkt auf die Wahrheit zeigt. Mit spontanen Handlungen oder Worten, die die Paradoxa des begrifflichen Denkens enthüllen, soll der begriffliche Denkprozeß gestoppt werden und der Schüler so auf eine mystische Erfahrung vorbereitet werden. (vgl. [2] S. 123)

Als der Schüler Jo einst zu dem Meister Rinzei kam fragte er Ihn:

„‘Was ist das höchste Prinzip des Buddhismus?’

Statt ihm eine Antwort durch Worte zu geben, verließ Rinzei seinen Stuhl, packte Jo und schlug ihn kräftig, bevor er ihn gehen ließ. Jo stand regungslos. Ein anderer Mönch sagte: ‘Warum machst du keine Verbeugung?’ Jo wollte sich gerade verbeugen, als die volle Erleuchtung über ihn kam.“ [1] S. 152

Durch den unerwarteten Schlag des Meisters wurde der logische Geist Jo´s ausgeschaltet. Er trieb plötzlich in einer Welt ohne Vernunft, weg von den üblichen Gedanken, an die er sich bis dahin gebunden gefühlt hatte. Dies hatte das Vergessen des Ich zur Folge und sein Geist wurde so der direkten Erfahrung seiner eigenen Natur geöffnet.

Eine andere Art, den Schüler zur Erleuchtung zu führen, ist es, ihm ein Koan als spirituelle Übung zu geben. Ein Koan ist ein sorgfältig konstruiertes, scheinbar unsinniges Rätsel, das dem Schüler die Grenzen des logischen Denkens einprägen soll. Die irrationale Wortwahl und der paradoxe Inhalt des Koans machen es unmöglich, das Rätsel durch intellektuelles Denken zu lösen. Ihr Ziel ist es, den Denkprozeß des Schülers anzuhalten und ihn so für die nichtverbale Erfahrung der Wirklichkeit empfänglich zu machen. Die folgenden Koans sollen dies verdeutlichen.

„Was war dein ursprüngliches Gesicht, das du hattest, bevor deine Eltern dich gebaren?“ [2] S. 47

„Du kannst das Geräusch von zwei klatschenden Händen erzeugen. Was ist jetzt das Geräusch einer Hand?“ [2] S. 47

Jedes Koan hat mehr oder weniger einzigartige Lösungen, die ein erfahrener Meister sofort erkennt. Ist die Lösung einmal gefunden, verliert das Koan sein paradoxes Aussehen und es wird zu einer bedeutungsvollen Aussage des Bewußtseinszustandes, den es zu erwecken half. (vgl. [2] S. 47)

6 Die Parallelen zwischen der modernen Physik und fernöstlichen
    Philosophien

Obwohl sich die spirituellen Traditionen des fernen Ostens in vielen Details voneinander unterscheiden, liegt ihnen doch letztendlich eine sehr ähnliche Weltanschauung zugrunde. Diese Weltanschauung beruht auf mystischen, intuitiven und nicht intellektuellen Erfahrungen, die ein Mensch direkt und ohne Einwirken der Außenwelt in sich selbst erlangt. Ein Hindu und ein Taoist mögen verschiedene Aspekte der Erfahrung hervorheben; ein Zen-Buddhist mag seine Erfahrungen mit Ausdrücken beschreiben, die sich von denen eines indischen Buddhisten unterscheiden, doch die Grundelemente der Weltanschauungen dieser Traditionen sind die gleichen.

Das wichtigste Merkmal der fernöstlichen Weltanschauung ist das Gewahrsein der Einheit und gegenseitigen Beziehung aller Dinge und Ereignisse. Es ist die Erfahrung aller Phänomene in der Welt als Manifestation einer einzigen fundamentalen Identität. Alle Dinge werden als voneinander abhängige und untrennbare Teile des kosmischen Ganzen beschrieben, als verschiedene Manifestationen der gleichen letzten Wirklichkeit. Sämtliche fernöstlichen Traditionen beziehen sich ständig auf diese letzte, unteilbare Wirklichkeit, die das Fundament des ganzen Kosmos ist. Diese letzte Wirklichkeit kann nicht begrifflich beschrieben werden. Aber gerade diese Elemente scheinen auch die Grundzüge der Weltanschauung zu sein, die aus der modernen Physik hervorgeht.

Die grundsätzliche Einheit des Universums, die einige New-Age-Physiker erkannt haben wollen, was aber empirisch nicht bewiesen ist, bedeutet ihrer Meinung nach eine der bedeutendsten Erkenntnisse der modernen Physik. Sie tritt im atomaren Bereich unserer Welt zutage und manifestiert sich immer deutlicher, je mehr man in die Struktur der Atome und der Materie, in das Reich der subatomaren Teilchen, eindringt. Wenn wir die verschiedenen Modelle der subatomaren Physik betrachten, erkennen wir, daß sie immer wieder auf verschiedene Weise die gleiche Einheit ausdrücken:

Die Bestandteile der Materie und die daran beteiligten Grundphänomene hängen alle zusammen, stehen zueinander in Beziehung und sind voneinander abhängig. Sie sind also nicht als isolierte Einheiten zu verstehen, sondern müssen als integrierte Teile des Ganzen aufgefaßt werden. Diese Parallelen zwischen Physik und fernöstlicher Philosophie, die einige Wissenschaftler erkannt zu haben meinen, sollen nun an einigen Beispielen aufgezeigt werden. (vgl. [2] S. 131 f)

6.1 Die Kopenhagener Deutung der Quantentheorie und ihre Beziehung
       zur fernöstlichen Philosophie

Im Kapitel 4.4 bin ich schon auf die Kopenhagener Deutung der Quantentheorie eingegangen. Für das weitere Verständnis dieser Arbeit will ich nun die experimentellen Abläufe beschreiben, wie sie heute unter dem Einfluß der Kopenhagener Deutung interpretiert werden.

Der Ausgangspunkt der Kopenhagener Deutung ist die Unterteilung der physikalischen Welt in ein beobachtetes System (Objekt) und ein beobachtendes System. Bei dem beobachteten System kann es sich z.B. um ein Atom, ein subatomares Teilchen oder um einen atomaren Vorgang handeln. Das beobachtende System besteht aus den Versuchsapparaturen und mindestens einem menschlichen Beobachter. Die große Schwierigkeit der Quantentheorie besteht jetzt darin, daß diese beiden Systeme verschieden beschrieben werden. Das beobachtende System wird mit Ausdrücken der klassischen Physik beschrieben, die aber für die Beschreibung des Objekts nicht sinnvoll angewendet werden können. Wir wissen zwar, daß sich die klassischen Begriffe der Physik in atomaren Größenbereichen als unzureichend erwiesen haben, doch müssen wir diese verwenden, um die Versuche zu beschreiben und ihre Ergebnisse festzuhalten. Wir sind insofern vor ein Paradoxon gestellt, das wir nicht umgehen können. Die technische Sprache der Physik ist eine Verfeinerung unserer Umgangssprache, und nur diese steht uns zur Beschreibung der Versuche und ihrer Ergebnisse zur Verfügung.

Wegen der statistischen Gesetze, denen die Quantentheorie folgt, und des Unbestimmtheitsprinzips ist es uns nicht möglich exakte Werte für atomare Vorgänge und Teilchen anzugeben. Daher werden diese Vorgänge in Form von Wahrscheinlichkeiten beschrieben. Der Grund für diesen statistischen Charakter soll hier erläutert werden.

Die meisten der heute bekannten subatomaren Teilchen sind instabil, d.h. sie zerfallen nach einer bestimmten Zeit in andere Teilchen. Wir sind nicht in der Lage, ihre ‘‘Lebensdauer’‘ vorherzusagen und auch nicht, in welche Teilchenkombination sie zerfallen werden. Wir können jedoch angeben, daß etwa 20 % der beobachteten Teilchen in die eine und 80 % in eine andere Kombination von Elementarteilchen zerfallen werden. Diese statistischen Kenntnisse haben die Physiker aus vielen Experimenten im Laufe der Zeit erworben.(vgl. [2] S. 131-134) Dabei läuft die Deutung eines Experiments wie folgt ab:

Zuerst wird die Anordnung des Experiments mit Hilfe der klassischen Begriffe der Physik beschrieben, und die Beschreibung wird in eine Wahrscheinlichkeitsfunktion übersetzt. Diese Wahrscheinlichkeitsfunktion folgt den Gesetzen der Quantentheorie, und ihre kontinuierliche Änderung im Laufe der Zeit kann aus den Anfangsbedingungen berechnet werden. Dabei vereinigt die Wahrscheinlichkeitsfunktion objektive und subjektive Elemente. Sie enthält Aussagen über Tendenzen, die objektiv sind und unabhängig von einem Beobachter. Außerdem enthält sie Aussagen über unsere Kenntnisse des Systems, die subjektiv sind. Dabei beschreibt die Wahrscheinlichkeitsfunktion nicht einen bestimmten Vorgang, sondern eine Gesamtheit von Vorgängen.

„Die Beobachtung selbst ändert die Wahrscheinlichkeitsfunktion unste­tig. Sie wählt von allen möglichen Vorgängen den aus, der tatsächlich stattgefunden hat. Da sich durch unsere Beobachtung unsere Kenntnis des Systems unstetig geändert hat, hat sich auch ihre mathematische Darstellung unstetig geändert, und wir sprechen von einem ‘Quantensprung’. … Der Übergang vom Möglichen zum Faktischen fin­det also während des Beobachtungsaktes statt. Wenn wir beschreiben wollen, was in einem Atomvorgang geschieht, so müssen wir davon ausgehen, daß das Wort ‘geschieht’ sich nur auf die Beobachtung be­ziehen kann, nicht auf die Situation zwischen zwei Beobachtungen. Es bezeichnet dabei den physikalischen, nicht den psychischen Akt der Beobachtung, und wir können sagen, daß der Übergang vom Mögli­chen zum Faktischen stattfindet, sobald die Wechselwirkung des Ge­genstandes mit der Meßanordnung und dadurch mit der übrigen Welt ins Spiel gekommen ist. Der Übergang ist nicht verknüpft mit der Re­gistrierung des Beobachtungsergebnisses im Geiste des Beobachters. Die unstetige Änderung der Wahrscheinlichkeitsfunktion findet aller­dings statt durch den Akt der Registrierung; denn hier handelt es sich um die unstetige Änderung unserer Kenntnis im Moment der Registrie­rung, die durch die unstetige Änderung der Wahrscheinlichkeitsfunk­tion abgebildet wird. [11] S. 36 f.

Das, was wir beobachten, existiert nur als Verbindungsstück zwischen der Versuchsanordnung und unseren Meßgeräten (s. Abb. 14). Wir können es nicht als für sich selbst existierendes Teilchen oder Vorgang verstehen, sondern nur in Verbindung mit unseren Anfangsbedingungen und der späteren Messung können wir über das sprechen, was wir beobachtet haben.

Abb. 14: Nur in Verbindung zwischen den Anfangsbedingungen und der Messung
können wir über eine Beobachtung sprechen

Die Quantentheorie enthüllt so einen wesentlichen inneren Zusammenhang des Universums. Einige Wissenschaftler glauben daher, daß wir die Welt nicht in unabhängig existierende kleinste Teilchen zerlegen können. Beim Eindringen in die Materie stellen wir fest, daß sie aus Teilchen besteht, doch diese sind nicht die Grundbausteine, wie Demokrit oder Newton sie verstanden haben. Sie sind lediglich Idealisierungen, oder wie Niels Bohr sich ausdrückte:

„Isolierte Materie-Teilchen sind Abstraktionen, ihre Eigenschaften sind nur durch ihr Zusammenwirken mit anderen Systemen definierbar und wahrnehmbar.“ [2] S. 139

Auf der atomaren Ebene lösen sich also die ‘‘festen’‘ Objekte der klassischen Physik in Wahrscheinlichkeitsstrukturen auf. Doch diese Strukturen stellen nicht die Wahrscheinlichkeit von Dingen dar, sondern vielmehr die Wahrscheinlichkeit von Zusammenhängen. Daher glauben die New-Age-Wissenschaftler, daß wir durch die Quantentheorie gezwungen werden, das Universum als ein kompliziertes Gewebe von Beziehungen zwischen den verschiedensten Teilchen eines vereinigten Ganzen zu sehen und nicht als eine Ansammlung physikalischer Objekte. Aber diese Sichtweise ist doch genau dieselbe, die auch die fernöstlichen Philosophen erkannt haben. Diese schreiben z.B.:

„Das Stoffliche Objekt wird … etwas anders, als wir es jetzt sehen, nicht als ein selbständiges Objekt vor dem Hintergrund oder in der Umgebung der übrigen Natur, sondern ein untrennbares Teil und auf subtile Art sogar ein Ausdruck der Einheit von allem, was wir sehen.“ (S. Aurobindo) [2] S. 139

„Dinge leiten ihre Natur und ihr Sein von gegenseitiger Abhängigkeit her und sind nichts in sich selbst.“ (Nagarjuna) [2] S. 139

So, wie wir diese mystischen Beschreibungen der Natur auch als Beschreibungen der Atomphysik ansehen können, könnten andersherum folgende Aussagen von Atomphysikern als Beschreibung der Natur im mystischen Sinne verstanden werden:

„Ein Elementarteilchen ist keine unabhängig existierende, analysierbare Einheit. Es ist im Grunde eine Reihe von Zusammenhängen, die sich nach außen zu anderen Dingen hin erstrecken.“ (H.P. Stapp) [2] S. 140

„Die Welt erscheint in dieser Weise als ein kompliziertes Gewebe von Vorgängen, in dem sehr verschiedenartige Verknüpfungen sich abwechseln, sich überschneiden und zusammenwirken und in dieser Weise schließlich die Struktur des ganzen Gewebes bestimmen.“ (W. Heisenberg) [11] S. 75

Dieses Bild von Verkettungen, das einem kosmischen Netz gleicht und aus der modernen Physik erwächst, wurde im fernen Osten häufig benutzt, um die mystischen Erfahrungen der Natur mitzuteilen. Für den Hindu ist Brahman der bindende Faden im kosmischen Gewebe die letzte Ursache allen Seins:

„Ihr kennt diesen, in den Himmel, Erde und Luftraum, das Manas zusammen mit allen Hauchen verwebt sind, als den einen Atman (die Seele).“ [2] S. 140

Indessen spielt das Bild vom kosmischen Gewebe im Buddhismus eine noch größere Rolle. Das Avatamsaka-Sutra beschreibt die Welt als ein perfektes Netzwerk von gegenseitigen Beziehungen, bei denen alle Dinge und Ereignisse auf komplizierte Weise zusammenwirken. Um diesen inneren Zusammenhang zu illustrieren, haben die Buddhisten viele Gleichnisse entwickelt. (vgl. [2] S. 140 f.) Diese wurden in schriftlicher Form als Tantras bekannt, was ‘‘Weben’‘ bedeutet und sich auf die Verwobenheit und die gegenseitige Abhängigkeit aller Dinge und Ereignisse bezieht.

In der östlichen Mystik wird der menschliche Beobachter immer als Teil dieser universellen Verwobenheit gesehen, so wie auch in der Atomphysik. Wie schon erwähnt, können Objekte auf der atomaren Ebene nur in Begriffen der Wechselwirkung zwischen den Vorbereitungs- und Meßverfahren verstanden werden. Am Ende dieser Kette von Vorgängen steht immer das Bewußtsein des menschliche Beobachters. Messungen sind Vorgänge, die in unserem Bewußtsein bestimmte Empfindungen hervorrufen. Eine visuelle Empfindung kann z.B. ein dunkler Fleck auf einer Fotoplatte sein. Die Gesetze der Atomphysik geben uns Auskunft über die Wahrscheinlichkeit, mit der ein bestimmtes Objekt eine bestimmte Empfindung in unserem Bewußtsein hervorrufen wird.

„Die Naturwissenschaft beschreibt und erklärt die Natur nicht einfach so, wie sie ‘an sich’ ist. Sie ist vielmehr ein Teil des Wechselspiels zwischen der Natur und uns selbst.“ [11] S. 60

Doch das Entscheidende an der Atomphysik ist, daß der Beobachter nicht nur für die Beobachtungen der Eigenschaften des Objekts notwendig ist, sondern daß er die Eigenschaften bis zu einem gewissen Grad mitbestimmt. Je nachdem, wie er das Objekt beobachtet, kann sich z.B. ein Elektron sowohl als Teilchen als auch als Welle im Bewußtsein des Beobachters manifestieren. Wir können in der Atomphysik nicht von den Eigenschaften eines Objekts als solchem sprechen. Sie sind nur im Zusammenhang mit der Wechselwirkung des Objekts mit dem Beobachter von Bedeutung.

„Was wir beobachten, ist nicht die Natur selbst, sondern Natur, die unserer Art der Fragestellung ausgesetzt ist.“ [11] S. 60

Denn der Beobachter entscheidet, wie er die Messungen aufstellt, und diese Anordnung bestimmt bis zu einem gewissen Grade die Eigenschaften des beobachteten Objekts. Ändert der Beobachter die Versuchsanordnung, dann ändern sich auch die Eigenschaften des Objekts. Daher kann der Wissenschaftler in der Atomphysik nicht die Rolle eines unbeteiligten, objektiven Beobachters spielen, sondern er wird in die beobachtete Welt mit einbezogen und beeinflußt dieselbe. Der Wissenschaftler John Wheeler sieht darin den wichtigsten Zug der Quantentheorie und empfiehlt, den Ausdruck ‘‘Beobachter’‘ durch ‘‘Teilnehmer’‘ zu ersetzten:

„In irgendeinem merkwürdigen Sinn ist das Universum ein teilnehmendes Universum.“ [2] S. 142

Aber gerade die Annahme der Teilnahme, die erst kürzlich von einigen Physikern formuliert wurde, ist das Kernstück der fernöstlichen, mystischen Philosophien. Mystisches Wissen kann niemals nur durch Beobachten erlangt werden. Das wesentliche an mystischen Erfahrungen ist, daß sie durch volle Teilnahme an der ganzen Welt erlangt werden. Dabei gehen die fernöstlichen Mystiker jedoch noch viel weiter als diese Physiker. In der Meditation gelangen sie nämlich an einen Punkt, an dem die Grenzen zwischen Beobachter und Objekt zusammenbrechen und Objekt und Subjekt zu einem undifferenzierten Ganzen verschmelzen.

„Wo es Dualität gibt, da sieht eins das andere; da riecht eins das andere, das schmeckt eins das andere … Aber wo alles das eigene Selbst geworden ist, womit und wen würde man sehen? Womit und was würde man riechen? Womit und wen würde man schmecken?“ [2] S. 142

Einige New-Age-Wissenschaftler haben mit Hilfe der Quantentheorie den Begriff von grundsätzlich selbständigen Objekten abgeschafft. Sie haben den Beobachter durch den Teilnehmer ersetzt und mögen es sogar notwendig finden, das menschliche Bewußtsein in ihre Beschreibung der Welt mit einzubeziehen. Diese Wissenschaftler sehen das Universum als zusammenhängendes Gewebe physikalischer und geistiger Beziehungen, dessen Teile nur durch ihre Beziehung zum Ganzen definiert werden können. (vgl. [2] S. 140-143) Diese neue Weltanschauung wird sehr schön durch folgende buddhistische Worte ausgedrückt:

„Der Buddhist glaubt nicht an eine unabhängige oder getrennt existierende äußere Welt, in deren dynamische Kräfte er sich hineinprojizieren könnte. Die äußere Welt und seine innere Welt sind für ihn nur zwei Seiten des selben Gewebes, in dem die Fäden aller Kräfte und aller Ereignisse, aller Formen des Bewußtseins und ihrer Objekte zu einem unauflöslichen Netz von endlosen, sich gegenseitig beeinflussenden Zusammenhängen verwoben sind.“ [2] S. 143

6.2 Die Überwindung der Gegensätze

Die östlichen Philosophien erfahren alle Dinge und Ereignisse als Manifestation einer Grundeinheit. Doch das bedeutet nicht, daß sie alle Dinge als gleich ansehen. Sie sind sich der Unterschiede und der Individualität der Dinge bewußt, erkennen aber dabei, daß innerhalb der allumfassenden Einheit alle Gegensätze relativ sind. Unserem intellektuellen, klassifizierenden Geist fällt es sehr schwer, die Einheit der Kontraste und Gegensätze zu akzeptieren. Solche Sichtweise ist Ausgangspunkt fernöstlicher Weltanschauung und ist doch für uns einer ihrer verwirrendsten Züge. Dabei sind Gegensätze abstrakte Begriffe, die aus dem Intellekt und der Klassifizierung aller Dinge heraus entstehen. Wenden wir unsere Konzentration einem bestimmten Begriff zu, so schaffen wir dadurch seinen Gegensatz.

„Wenn alle in dieser Welt die Schönheit als schön ansehen, dann gibt es auch Häßlichkeit; wenn alle die Güte als gut ansehen, dann gibt es auch das Böse.“ (Lao-Tse) [2] S. 144

Die fernöstlichen Mystiker überwinden diese Einteilung der intellektuellen Begriffe und erkennen die polaren Gegensätze als Extreme eines zusammenhängenden Spektrums. Erst die Einteilung des Spektrums in begriffliche Kategorien läßt dieses als Gegensätze erscheinen. Und durch die Überwindung der begrifflichen Vorstellung erkennen die Mystiker die Relativität der Gegensätze. Sie erkennen Leben und Tod, Lust und Schmerz, Gut und Böse als Teile desselben Spektrums. Dabei verschmelzen die Extreme zu einem einheitlichen Ganzen. Die Einsicht in die Einheit der Gegensätze stellt eins der höchsten Ziele menschlicher Erfahrung in den spirituellen Traditionen des fernen Ostens dar.

„Die Grundidee des Buddhismus ist, über die Welt der Gegensätze hinauszugehen, über die aus intellektuellen Unterscheidungen und emotionellen Verunreinigungen aufgebaute Welt, und die spirituelle Welt der Unterschiedslosigkeit zu erkennen, die das Erreichen einer absoluten Ansicht beinhaltet.“ (D.T. Suzuki) [2] S.145

Die ganze fernöstliche Mystik dreht sich um die Gewahrwerdung dieser Einheit aller Gegensätze, die in einem Zustand erreicht wird, in dem der intellektuelle Geist überwunden wird und aus der Intuition heraus zu einer lebendigen Erfahrung erwächst. Dabei ist die Einheit aller Dinge nie statisch, sondern immer fließend, sie ist das Zusammenspiel von Yin und Yang.

„Das, was jetzt das Dunkel, jetzt das Licht erscheinen läßt, ist das Tao.“ [2] S. 145

Die dynamische Einheit polarer Gegensätze können wir am Beispiel der Projektion einer Kreisbewegung auf einen Schirm illustrieren (s. Abb. 15). Wenn wir die Kreisbewegung eines Balls auf einen Schirm projizieren, so entsteht eine Schwingung zwischen zwei Extremwerten. Um dabei die Analogie zur chinesischen Gedankenwelt aufrechtzuerhalten, bezeichnen wir den Kreis als Tao und die beiden Grenzwerte der Schwingung als Yin und Yang. Bei der Projektion der Kreisbahn auf den Schirm entsteht ein endloser Zyklus. Der Ball kreist mit konstanter Geschwindigkeit, doch in der Projektion verlangsamt sich die Geschwindigkeit bei Annäherung an die Endwerte, kehrt wieder um, beschleunigt und verlangsamt sich dann wieder und so weiter.

Abb. 15: Überwindung von Gegensätzen – Yin und Yang

In dieser Projektion erscheint die Kreisbewegung als Schwingung zwischen zwei Punkten, doch in der Bewegung selbst sind die Gegensätze vereinigt und gehen ineinander über. (vgl. [2] S.146)

In der Praxis des fernöstlichen Mystizismus erreicht man den Zustand der Gewahrwerdung der Einheit aller Gegensätze nur auf einer höheren Bewußt­seinsebene. In einem Zustand, in dem man die intellektuellen Gedanken und die Sprache überwunden hat, erscheinen dem Menschen dann alle Gegensätze als dynamische Einheit.

In der modernen Physik hat sich eine ähnliche Wirklichkeit gezeigt. Auch hier werden logische Argumente und sprachliche Begriffe ständig überschritten und es zeigt sich eine Vereinigung von Begriffen, die bisher entgegengesetzt und unvereinbar schienen. Doch auch in der Physik erweist sich die Einheit von Gegensätzen als überraschende Realität. (vgl. [2] S. 144-148)

6.3 Der Teilchen-Welle-Dualismus als ein quantentheoretisches Koan

Auf der atomaren Ebene hat die Materie – wie schon erwähnt – eine doppelte Gestalt. So kann sie als Welle oder als Teilchen beschrieben werden. Wie die Materie unterliegt auch das Licht und jede andere Form von elektromagnetischer Strahlung diesem Teilchen-Welle-Dualismus. So wird Licht z.B. in Form von Photonen ausgestrahlt und absorbiert. Bewegt sich Licht jedoch durch den Raum, erscheint es als elektromagnetisches Feld, das Welleneigenschaften besitzt. Auch Elektronen werden normalerweise als Teilchen angesehen. Schickt man sie aber durch einen schmalen Spalt, so werden sie wie das Licht gebeugt; mit anderen Worten: Elektronen verhalten sich wie Wellen.

Dieser doppelte Aspekt von Materie und Strahlung ließ viele der ‘‘Quanten-Koans’‘ entstehen, die zur Formulierung der Quantentheorie führten. Die Physiker haben lange Zeit gebraucht, um zu akzeptieren, daß sich die Materie auf diese beiden Arten manifestiert, denn sie scheinen nach klassischen Gesichtspunkten unvereinbar. Ein Teilchen ist ein auf einen sehr engen Raum beschränktes Objekt, wohingegen eine Welle ein im Raum ausgedehntes Gebilde ist.

Bei der Betrachtung der beiden Bilder könnte man auf die Idee kommen, das Problem zu lösen, indem man die Welle als ein sich wellenförmig bewegendes Teilchen beschreibt. Doch diese Argumentation beruht auf einem Mißverständnis über die Natur der Wellen. Es gibt in der Natur keine Teilchen, die sich wellenförmig bewegen. So bewegen sich Wasserteilchen nicht mit den Wellen, sondern beschreiben Kreise, wenn die Welle vorbeizieht. Genauso schwingen auch keine Luftteilchen mit den Schallwellen, sondern sie schwingen lediglich hin und her, bewegen sich aber nicht mit der Schallwelle fort. Bei Wellen wird lediglich die Störung mittransportiert, jedoch kein Masseteilchen. Daher wird in der Quantentheorie auch nicht von einer Teilchenbahn gesprochen, wenn behauptet wird, das Teilchen sei auch eine Welle. Die Quantenphysiker meinen, daß die Wellenstruktur als Ganzes eine Manifestation des Teilchens ist. Der Teilchen-Welle-Dualismus ist hier vergleichbar mit Yin und Yang der chinesischen Philosophie. Sie scheinen unvereinbar und widersprüchlich und sind doch Merkmale der Materie. (vgl. [2] S. 150 ff.)

Ein anderes Beispiel für das Zusammenwirken von gegensätzlichen Erscheinungen geht aus dem Unbestimmtheitsprinzip hervor. Unsere klassischen Begriffe, die aus unserer makroskopischen Erfahrung stammen, sind für die Beschreibung der subatomaren Welt unzulänglich. Wir haben erkannt, daß der Begriff einer selbständigen physikalischen Einheit – eines Teilchens – eine Idealisierung ohne fundamentale Bedeutung ist. Im subatomaren Bereich können wir ein Teilchen nur durch seine Beziehung zum Ganzen definieren und Aussagen über sein Verhalten machen, die statistischer Natur sind und mehr Wahrscheinlichkeiten als Sicherheiten darstellen. Wenn wir die Eigenschaften einer solchen Einheit mit klassischen Begriffen wie Energie, Impuls und Aufenthaltsort beschreiben wollen, so müssen wir erkennen, daß es Begriffspaare gibt, die zwar zusammenhängen aber nicht gleichzeitig genau definiert werden können. Je mehr Gewicht wir auf den einen Begriff des physikalischen Objekts legen, desto unsicherer wird der andere. Dabei gibt das Unbestimmtheitsprinzip den präzisen Zusammenhang beider an. Niels Bohr führte den Begriff der Komplementarität ein, um die Beziehung zwischen Paaren von klassischen Begriffen in der Atomphysik verständlicher zu gestalten. Er betrachtete das Teilchenbild und das Wellenbild als komplementäre – sich ergänzende – Beschreibungen derselben Realität. Jede davon ist nur teilweise richtig und hat einen begrenzten Anwendungsbereich. Für die vollständige Beschreibung der atomaren Wirklichkeit benötigen wir beide Bilder, die jedoch nur in den, vom Unbestimmtheitsprinzip gegebenen, Grenzen anwendbar sind.

Der Begriff der Komplementarität wurde in der Physik zu einem wesentlichen Bestandteil ihrer Naturanschauung und Bohr hat bemerkt, daß er auch außerhalb der Physik nützlich sein könne. Der Begriff spielt  tatsächlich schon viele Jahrhunderte eine entscheidende Rolle in der chinesischen Philosophie, welche auf der Einsicht beruht, daß gegenteilige Begriffe in komplementärer Beziehung zueinander stehen. Dabei kann man den einen Pol niemals ohne die Existenz des anderen beschreiben. Diese innere Dynamik, die allen Naturphänomenen zu Grunde liegt, wird im chinesischen Denken durch das Symbol von Yin und Yang ausgedrückt. (vgl. [2] S. 159 f.)

6.4 Die Dynamik des Universums

Seit Beginn der Naturphilosophie haben Menschen darüber nachgedacht, woraus denn eigentlich die Materie bestünde, was ihr Grundstoff sei. Doch erst in unserem Jahrhundert ist es der Wissenschaft gelungen, experimentelle Antworten auf diese Frage zu erhalten. Mit Hilfe einer komplizierten Technik wurde es möglich den Aufbau der Atome zu erforschen. Man entdeckte das Elektron, das Neutron und das Proton als atomare Bausteine und später fand man heraus, daß sowohl Proton als auch Neutron aus weiteren noch kleineren Teilchen bestehen. Die Erforschung der Atome führte zu einer grundlegenden Änderung unserer Ansicht von Materie, was schon in den vorangegangenen Kapiteln besprochen wurde. Doch man fand noch einen anderen gravierenden Unterschied zur klassischen
Physik heraus – die Äquivalenz von Masse und Energie. Albert Einstein hat herausgefunden, daß jede Energie auch eine träge und schwere Masse besitzt. Löst man seine berühmte Formel

nach m auf, so erhält man

Aus dieser Beziehung heraus kann man dann auch erklären, warum elektromagnetische Wellen, wie z.B. Licht, durch große Gravitationsfelder, die beispielsweise durch Sonnen hervorgerufen werden, abgelenkt werden. Doch um die tiefere Bedeutung der Äquivalenz von Energie und Masse zu verstehen, die in der Einsteinschen Relativitätstheorie beschrieben wird, müssen wir zuerst untersuchen, welche Bedeutung Energie und Masse in der Physik haben.

Energie ist einer der wichtigsten Begriffe in der Beschreibung von Naturerscheinungen. Wenn wir von einem Körper sagen, daß er Energie enthält, heißt das, daß er Arbeit verrichten kann. Energie kann in verschiedensten Formen auftreten. Es kann Bewegungsenergie sein, Wärmeenergie, Gravitationsenergie, aber es gibt auch chemische und elektrische Formen von Energie. Jede dieser Energieformen kann zur Leistung von Arbeit benutzt werden. Das einfachste Beispiel für die Verrichtung von Arbeit durch Energie, ist ein Stein, der aus einer bestimmten Höhe fallengelassen wird. Hebt man einen Stein vom Boden in die Höhe, so steigt seine potentielle Energie (Energie der Lage) durch die Veränderung seiner Lage nach  (für einen Stein auf der Erde), dabei ist m die Masse des Steins, g die Erdbeschleunigung und h die Höhe, um die wir den Stein anheben. Läßt man ihn dann fallen, so wandelt sich seine potentielle Energie in kinetische Energie (Bewegungsenergie) um. Trifft er auf dem Boden auf, so leistet er Arbeit, was wir dadurch erkennen, daß er z.B. etwas zerbricht oder an dem Staub, den er aufwirbelt. Dabei hängt in der Physik Energie häufig mit Prozessen zusammen – mit Aktivität. Und es ist unmöglich, Energie in einem Prozeß zu verlieren, das heißt: jegliche Energie bleibt erhalten. Wir können eine bestimmte Form von Energie zwar in andere Formen umwandeln, doch bleibt die Energiesumme immer die gleiche.

Die Masse eines Körpers ist ein Maß für sein Gewichtskraft, also für den Zug der Schwerkraft an diesem Körper. Des weiteren bestimmt die Masse die Trägheit eines Körpers, das heißt den Widerstand gegen Beschleunigung. Wie wir wissen sind massereichere Körper schwerer zu beschleunigen als masseärmere Körper. In der klassischen Physik ging man davon aus, daß Masse immer an einen bestimmten Stoff gebunden sei, der unzerstörbar ist und somit, genau wie die Energie, nie verloren gehen könne.

Die Relativitätstheorie Einsteins hat aber gezeigt, daß Energie als eine Form von Masse beschrieben werden kann. Energie ist in der Masse eines Körpers enthalten. Dabei ist das Maß an Energie, das in einem Körper enthalten ist, gleich der Masse des Körpers (m) multipliziert mit dem Quadrat der Lichtgeschwindigkeit (c2), somit:
E = m×c2. Wird Masse jedoch als Energieform angesehen, so muß sie nicht länger unzerstörbar sein, sondern sie müßte sich in andere Energieformen umwandeln lassen. Dies geschieht z.B. wenn subatomare Teilchen miteinander kollidieren. Bei solchen Kollisionen können Partikel zerstört werden und die, in ihren Massen enthaltene, Energie kann in kinetische Energie verwandelt werden, die an die anderen Teilchen abgegeben wird. Das Resultat ist eine Verringerung der an dem Vorgang beteiligten Masse und eine höhere Geschwindigkeit der nach dem Vorgang erhaltenen Teilchen. Es ist aber auch der umgekehrte Vorgang möglich, bei dem die kinetische Energie von Teilchen, die mit hoher Geschwindigkeit zusammenstoßen, in eine Zunahme der Masse, der an der Kollision beteiligten Teilchen, umgewandelt wird oder gar neue Teilchen entstehen.

Experimentell hat sich diese Äquivalenz von Materie und Energie in vielen Kollisionsversuchen der Hochenergie-Physik bestätigt. Und es hat sich gezeigt, daß die von Newton postulierte Unzerstörbarkeit der Materie falsch ist, obwohl man Newton zugute halten muß, daß es damals noch gar nicht die experimentellen Grundlagen gab, um dieses zu erkennen. Erst heute können wir mit Hilfe von Elektronen und künstlich hergestellter Positronen solche Experimente durchführen. Die zusammenstoßenden Teilchen können also zerstört werden, und ihre Massen können teilweise in die Massen, teilweise in die kinetische Energie der neu erzeugten Teilchen umgewandelt werden. Doch die an solchen Vorgängen beteiligte Gesamtenergie, also die Energie der Massen plus der an dem Vorgang beteiligten kinetischen Energien der Teilchen, bleibt konstant. Die modernen Physiker haben sich im Laufe der Zeit so sehr an die Äquivalenz von Masse und Energie gewöhnt, daß die Masse eines Teilchen von Teilchen-Physikern in den entsprechenden Energieeinheiten gemessen wird.

Aus diesen Erfahrungen der modernen Physik erkennen die New-Age-Physiker, daß Masse keine materielle Substanz besitzt (wobei man auch behaupten kann, daß Energie eine materielle Sustanz besitzt) und verwerfen den Gedanken, daß Teilchen aus irgendeinem Stoff bestehen. Teilchen sind Energiebündel. Da Energie aber häufig mit Aktivität und Vorgängen zusammenhängt, folgt für sie daraus eine dynamische Struktur der subatomaren Teilchen. Diese dynamischen Strukturen oder Energiebündel bilden ihrer Meinung nach die atomaren Strukturen, die die Materie aufbauen und ihr den Anschein geben als bestünde sie aus einer festen materiellen Substanz. Auf der makroskopischen Ebene unserer Erfahrungen ist diese Sichtweise eine brauchbare Annäherung, doch auf der atomaren Ebene wird sie hinfällig.

Die Quantentheorie lehrt uns, daß Teilchen keine isolierten Materiekügelchen sind, sondern Wahrscheinlichkeitsstrukturen, und die New-Age-Physiker erkennen dies als Verknüpfungen in einem untrennbaren kosmischen Gewebe. Dabei hat die Relativitätstheorie diese Strukturen sozusagen ‘‘zum Leben erweckt’‘, indem sie ihren dynamischen Charakter enthüllt.

Auf der anderen Seite besitzen die fernöstlichen Philosophien aber schon seit Jahrtausenden das Wissen von der dynamischen Struktur des Universums. Das Studium ihrer Schriften zeigt, daß sie die Welt immer in Begriffen der Bewegung, des Fließens und des Wandels beschreiben. Die fernöstlichen Philosophen betrachten die makroskopischen Objekte ähnlich wie Physiker die subatomaren Teilchen. So war eine der Hauptlehren des Buddha, daß alle zusammengesetzten Dinge unbeständig sind oder mit anderen Worten:

„Buddhisten fassen ein Objekt als Vorgang, nicht als Ding oder Substanz auf … Der buddhistische Begriff von ‘Dingen’ als samskara (oder sankhara), das heißt als ‘Taten’ oder ‘Vorgänge’, macht deutlich, daß die Buddhisten unsere Erfahrung als Zeit und Bewegung verstehen.“ [2] S. 203

Die Buddhisten begreifen alle Objekte als Vorgänge in einem universellen Fluß und verneinen die Existenz einer materiellen Substanz, eine Sichtweise, die sie mit den New-Age-Physikern teilen. Aber auch die Chinesen besitzen diese Gedanken. Sie sehen die Dinge als Übergangsstadium im ewig fließenden Tao und betrachten die Dinge als Wechselwirkungen und reduzieren sie nicht auf eine materielle Substanz. (vgl. [2] S. 198-204)

6.5 Das expandierende Universum

Die moderne Astrophysik enthüllt ein weiteres – diesmal makroskopisches – Beispiel für ein dynamisches Universum. Mit Hilfe modernster Teleskope ist es der Menschheit gelungen, die entferntesten Teile unseres Universums zu erforschen. Dabei hat die Wissenschaft festgestellt, das sich im Universum eine unaufhörliche Bewegung zeigt. Rotierende Wasserstoffwolken ziehen sich zusammen und bilden Sterne. Die Wärme die dabei entsteht, läßt sie uns als brennende Feuer im Himmel erkennen. Auch in diesem Stadium rotieren sie noch, und einige stoßen Materieteile in den Raum aus. Die Materieteile entfernen sich zunächst spiralförmig und verdichten sich später zu Planeten, welche den Stern umkreisen. Ein Sonnensystem ist entstanden. Ist der Wasserstoffvorrat des Sterns fast verbraucht, dehnt sich der Stern um ein Mehrfaches seiner eigentlichen Größe aus und fallt dann in einem Gravitationskollaps in sich zusammen. Ist die Masse des Stern sehr groß, kann dabei sogar ein schwarzes Loch entstehen.

Die rotierenden, sich zusammenziehenden und ausdehnenden Sterne häufen sich zu Galaxien von verschiedensten Formen an. Selbst diese Galaxien sind nicht statisch, sondern in Bewegung, auch sie rotieren. Unsere Galaxis – die
Milchstraße – bildet dabei keine Ausnahme. Sie ist eine ungeheure Scheibe aus Gas und Sternen, die sich im Weltraum wie ein riesiges Rad dreht. Das ganze Universum besteht aus Millionen solcher Galaxien, die sich alle drehen, wie die unsere.

Das Interessante an unserem Universum ist jedoch, daß sich nicht nur die Galaxien in ihm, sondern das Universum als Ganzes ausdehnt. Die moderne Astrophysik hat mit Hilfe detaillierter Analysen des Lichtes, das uns von anderen Galaxien erreicht, erkannt, daß die Galaxien auseinanderlaufen. Alle Galaxien entfernen sich voneinander. Dabei ist die Geschwindigkeit, mit der sie sich voneinander entfernen, proportional zu ihrem Abstand. Je weiter die Entfernung zwischen unserer und einer anderen Galaxie ist, desto schneller entfernen sich die beiden Galaxien voneinander. Dies ist nicht nur so, wenn man unsere Galaxis als Bezugspunkt wählt, sondern das gilt für alle Galaxien. Egal in welcher Galaxis wir uns befinden, werden wir immer feststellen, daß sich die anderen Galaxien von uns entfernen. Dabei haben wir es mit riesigen Geschwindigkeiten zu tun. Die uns am nächsten gelegenen Galaxien entfernen sich mit Geschwindigkeiten von mehreren tausend Kilometern pro Sekunde, und die am weitesten entfernten nähern sich fast der Lichtgeschwindigkeit an.

Um sich dieses expandierende Universum besser vorstellen zu können, denke man sich einen unaufgeblasenen Luftballon, auf den man mit einem Stift Punkte in einem gleichmäßigen Abstand zeichnet. Der Ballon ist das Universum und die Punkte sind die einzelnen Galaxien. Bläst man den Ballon dann auf, so stellt man fest, daß der Abstand jeder Galaxis zu jeder beliebigen anderen immer größer wird (s. Abb. 16).

Abb. 16: Das expandierende Universum

Viele Kosmologen glauben, daß das Universum vor ca. 15 Milliarden Jahren seinen Anfang in dem sogenannten Urknall nahm. Aus einem kleinen Urfeurball soll damals die gesamte Masse des Universums in den Raum hinausexplodiert sein und die gegenwärtige Expansion des Universum sei eine Auswirkung der Anfangsexplosion. Doch wie sieht die Zukunft unseres Universums aus? Wird es sich unaufhörlich ausdehnen oder wird seine Expansion irgendwann einmal zur Ruhe kommen? Diese Frage kann momentan niemand beantworten. Doch es gibt Wissenschaftler die meinen, daß die Expansion ein ewig fortlaufender Prozeß sei und andere, die meinen, daß er irgendwann gestoppt würde und dann in eine Kontraktion umschlage. Sollte sich dieses zweite Bild bewahrheiten, dann könnte man annehmen, daß in dem Moment, wo die gesamte Materie des Universums wieder in sich zusammenfällt, ein neuer Urknall entsteht und sich ein neues Universum bildet und so weiter.

Die Vorstellung eines solchen, sich ausdehnenden und zusammenziehenden Universums ist jedoch nichts Neues. Schon in der indischen Mythologie wird berichtet, daß Brahman sich in die Welt verwandelt, um später in sich selbst zurückzukehren. Dabei soll sich dieser Vorgang in endlosen Zyklen wiederholen,

„… der Eine wird zum Vielen, und das Viel wird wieder zu dem Einen.“ [2] S.198

In der Bhagavad-Gita beschreibt der Gott Krishna diese zyklische Schöpfung mit folgenden Worten:
„Am Ende der Nacht der Zeit kehren alle Dinge zu meiner Natur zurück; und wenn der neue Tag der Zeit beginnt,
bringe ich sie wieder ans Licht.
So bringe ich durch meine Natur alle Schöpfung hervor, und diese rollt umher in den Kreisen der Zeit. Doch ich bin nicht von diesem großen Schöpfungswerk gebunden. Ich bin, und ich betrachte das Drama des Werks.
Ich betrachte, und in ihrem Schöpfungswerk bringt die Natur alles hervor, was sich bewegt und was sich nicht bewegt: Und so gehen die Kreisläufe der Welt rundherum.“ [2] S. 198

Die Hindus denken, daß sich das Universum periodisch ausdehnt und wieder zusammenzieht. Der ungeheuren Zeitspanne zwischen Beginn und Ende einer Schöpfungsperiode gaben sie den Namen Kalpa. Und heute gibt es Modellvorstellungen der modernen Wissenschaft über das Universum, die dieses ähnlich beschreiben. (vgl. [2] S. 194-198)

7 Das holistische Weltbild – eine Chance für die Menschheit?

Kann die fernöstliche Philosophie als Grundlage für ein neues westliches Weltbild, das die Erkenntnisse der Naturwissenschaft des 20. Jahrhunderts beinhalten muß, dienen? Diese Frage muß sich der Leser selbst beantworten. Doch die, in dieser Arbeit beschriebenen Parallelen zwischen Physik und fernöstlicher Philosophie sollten zum Nachdenken auffordern. In vielen Bereichen ist uns der Glaube der Ostasiaten sehr fremd und unterscheidet sich stark von unseren abendländischen Vorstellungen, doch vielleicht kann aus der Verbindung dieser beiden Denkrichtungen eine für den Menschen bessere Zukunft erwachsen. Unsere westliche Denkweise hat uns nicht nur Freuden beschert, denn unsere Umweltprobleme sind unter anderem Auswirkungen dieses Denkens. Probleme, wie Umweltverschmutzung, atomare Bedrohung, das Ozonloch und Hungersnöte in vielen Bereichen der Welt, können vielleicht überwunden werden, wenn wir aufhören, diese Probleme auf bestimmte Bereiche unserer Gesellschaft abzuschieben und statt dessen anfangen, die Zusammenhänge zu ergründen, die zu diesen Problemen geführt haben. Nicht die Firma, die ein Atomkraftwerk betreibt, ist schuld daran, daß wir durch radioaktiven Abfall unsere Umwelt und unser Leben bedroht sehen. Es ist auch nicht die politische Führung schuld an diesem Umstand, und auch nicht die Industrie. Man kann diese Schuldfrage nicht beantworten, indem man einen oder mehrere Schuldige sucht. Wir müssen anfangen, unser System als Ganzes zu betrachten und die Abläufe, die Vernetzung unserer gesellschaftlichen Teilbereiche im Ganzen zu analysieren, zu denen auch jeder einzelne selbst gehört. Viele Menschen haben erkannt, daß in dieser holistischen Sichtweise vielleicht eine Lösung für unsere Probleme enthalten ist. Aber diese Sichtweise kommt doch sowohl in der modernen Physik, als auch im fernöstliche Glauben zum Ausdruck, wo die Welt als ein System zusammenwirkender Teilchen beschrieben wird, die nur durch ihr Zusammenwirken das Universum darstellen und nicht als voneinander getrennt existierende Einheiten verstanden werden können.

„Wahrscheinlich darf man ganz allgemein sagen, daß sich in der Geschichte des menschlichen Denkens oft die fruchtbarsten Entwicklungen dort ergeben haben, wo zwei verschiedene Arten des Denkens sich getroffen haben. Diese verschiedenen Arten des Denkens mögen ihre Wurzeln in verschiedenen Gebieten der menschlichen Kultur haben oder in verschiedenen Zeiten, in verschiedenen kulturellen Umgebungen oder verschiedenen religiösen Traditionen. Wenn sie sich nur wirklich treffen, d.h., wenn sie wenigstens so weit zueinander in Beziehung treten, daß eine echte Wechselwirkung stattfindet, dann kann man darauf hoffen, daß neue und interessante Entwicklungen folgen.“ (Werner Heisenberg) [2] Deckblatt

8 Literaturverzeichnis

[1] Bancroft, Anne: Religionen des Ostens. Zürich, 1974

[2] Capra, Fritjof: Das Tao der Physik. Bern, München, Wien, 141993

[3] Capra, Fritjof: Wendezeit. München, 31994

[4] Cassidy, David C.: Werner Heisenberg und das Unbestimmtheitsprinzip. In: Spektrum der Wissenschaft. 7/1992

[5] De Broglie, Louis-Victor: Licht und Materie. Hamburg, Baden-Baden, 1949

[6] Einstein, Albert: Mein Weltbild. Frankfurt, Berlin, 1968

[7] Gerthsen, Christian u.a.: Physik. Berlin, Heidelberg, New York, 161992

[8] Grehn, Joachim (Hg.): Metzler Physik. Hannover, 21992

[9] Gribbin, John: Auf der Suche nach Schrödingers Katze. München, 51993

[10] Hawking, Stephen W.: Eine kurze Geschichte der Zeit. Reinbek, 1991

[11] Heisenberg, Werner: Physik und Philisophie. Frankfurt, Berlin, 1990

[12] Höfling, Oskar: Physik. Bonn, 151990

[13] Lambeck, M.: Die Deutung der Quantenphysik durch Fritjof Capra und seine Nachfolger. In: Praxis der Naturwissenschaften- Physik. 2/42, 42. Jahrgang,
März 1993

[14] Landau, C. D. / Rumer, J. B.: Was ist die Relativitätstheorie? Leipzig, 131989

[15] Newton, Isaac: Mathematische Prinzipien der Naturlehre. Darmstadt, 1963

[16] Schwinger, Julian: Einsteins Erbe. Heidelberg, 21988

[17] Shimoney, Abner: Die Realität der Quantenwelt. In: Spektrum der Wissenschaft. 3/1988

[18] Specht, Rainer: Descartes. Reinbeck, 61992

[19] Stöckler, M.: Die neue Physik und das neue Denken. New Age und die Kritik an der Wissenschaft. In: Praxis der Naturwissenschaft – Physik. 3/1993

[20] Weyl, Hermann: Die Einsteinsche Relativitätstheorie. In: Spektrum der Wissenschaft. Gravitation. Heidelberg, 1987

[21] Wickert, Johannes: Einstein. Reinbeck, 181994

[22] Wickert, Johannes: Isaac Newton. Reinbeck, 1995

 

9 Verzeichnis der Abbildungen

Abb.1:                              [7] S. 543

Abb. 2:                             [9] S 25

Abb. 3:                             [9] S. 29

Abb. 4:                             [9] S. 30

Abb. 5:                             [8] S. 385

Abb. 6:                             [9] S. 183

Abb. 7:                           [14] S. 13

Abb. 8:                           [16] S. 46

Abb. 9:                           [16] S. 47

Abb. 10:                         [10] S. 43

Abb. 11:                         [10] S. 43

Abb. 12:                         [10] s: 45

Abb. 13:                           [1] Deckblatt

Abb. 14:                           [2] S. 137

Abb. 15:                           [2] S. 146

Abb. 16:                           [2] S. 196