Ideologie als Mittel zur Verschleierung von Macht und Herrschaftsverhältnissen
Nach der Wiedervereinigung ging die Verteidigung der Machtverhältnisse im geeinten Deutschland weiter. Souialistische Kräfte ringen weiter mit kapitalistischden Strukturen. Die Rolle der Parteien im Kampf um die Machtverhätnisse hat sich dabei eher zum Machterhalt der Mächtigen ausgeweitet. In den Jahren nach 1967 hat sich eine Politikerkaste gebildet, die abgekoppelt von den Sorgen und Nöten der Bürger handelt.
Doch welche Neuerungen in der politischen Debatte wurden als Ersatz für die Frage nach der Wiedervereinigung gefunden?
„Das ‚Höhere‘, hinter dem sich heute jeder verstecken kann, der seine Ruhe haben will, das man zugleich aber nutzen muss, wenn man auf Steuergelder aus ist oder auf einen Platz nah an der Sonne, dieses ‚Höhere‘ wurde in den späten 1960er Jahren auf den Weg gebracht und dann so verfeinert, dass es sich zu einer ‚Rechtfertigungslehre‘ verdichten ließ, die die Ordnung stabilisiert und jede Utopie erstickt. Niemand, der bei Trost ist, hat etwas gegen Gleichberechtigung, Minderheitenrechte, Umwelt- und Gesundheitsschutz. Niemand wird öffentlich für Rassismus werben, für Faschismus oder gegen Demokratie. […] Warum sollte man nicht wollen, dass sich die Verdammten dieser Erde zusammentun? Damit daraus eine Ideologie wird, eine Nebelkerze, die die Machtverhältnisse verschleiert und schützt, muss der Konsens so entkernt werden, dass er von Eigentumsfragen und allen Ungerechtigkeiten ablenkt, die damit verbunden sind, und moralisiert werden kann. Nicht richtig und falsch, sondern gut und böse. Gendergaga, Quote, CO2 , #allesindenarm, #allegegenrechts. Die Fortsetzung folgt und lässt sich eigentlich schon vorhersagen, wenn man weiß, dass im Zweifel nicht der Milliardär das Übel ist, sondern der Lastwagenfahrer aus der Oberpfalz. Weiß, männlich, westlich und damit mindestens mitschuldig am Elend der Welt. Ausbeutung und Unterdrückung? Imperialismus und Militarismus? Das gibt es nur noch in den Geschichtsbüchern, und auch dort wird permanent retuschiert.
Ideologien kommen nicht fertig in die Welt. Sie brauchen Zeit, um die Köpfe zu erobern. Sie müssen dafür in die Schulen gehen, in Lehrbücher, in Forschungsprogramme. Ich werde [noch] beschreiben, wie die Universitäten zu Brutstätten der neuen Heilslehre wurden und warum dafür ein Kommunikationsmittel nötig war, das die Wirklichkeit aus einfache Botschaften reduziert und aus allem eine Frage der Moral macht. Erst in den 2010er Jahren, als das Internet in jede Hand- und Hosentasche einzog und die ersten Jünger alt genug waren, um an Lehrpulten, auf Stimmzetteln und vor der Kamera zu stehen oder sogar nach den Schalthebeln der Macht zu greifen, erst da begann die Saat aufzugehen, die ein halbes Jahrhundert vorher von Strategen im US-Sicherheitsapparat gelegt worden war. Damit ist zugleich die Linie markiert, die die Generation teilt. Wer nach 1980 geboren wurde, ist noch kein ‚digital native‘, aber schon hineingewachsen in die neue Welt, in der ein Bologna-Studium auch deshalb immer wahrscheinlicher wurde, weil die Politik der Hochschulquote mit aller Macht nach oben gedrückt wurde.
Ich komme gleich noch einmal zurück zur Macht von Ideologienund zu den Mechanismen, über die sie wirken, will aber vorher auf das Fundament hinweisen, das der Digitalkonzernstaat errichtet hat, damit seine Geschichten geglaubt und weitergetragen werden. Die Stichworte stehen in der Kapitelüberschrift: Akademisierung und Abhängigkeiten. Im alten Westdeutschland, vor der Sattelzeit, war nicht vorstellbar, dass jeder Zweite studiert. 1960 lag die Quote in der Bundesrepublik bei sechs (!) Prozent und noch Mitte der 1980er Jahre bei nicht einmal 20. Inzwischen sind wir bei knapp 55. Der Nachkriegsjunge, der zur Universität ging, konnte selbst dann sicher sein, einen tollen Job zu finden, wenn er nach ein paar Semestern die Nase voll hatte und ohne Zeugnis ins Leben ging. Heute herrscht Knappheit überall da, wo Sinn produziert wird – in der Kultur, in den Medien, in Wissenschaft und Politik. Wohin man auch schaut, gibt es viel mehr Bewerber als Geld, Stellen, Aufstiegschancen. Die Folge: eine ‚feudale Klassengesellschaft‘ mit Fürtsen ‚auf dem Sonnendeck‘ (Intendanten, Chefredakteure, Professoren, Bischöfe, Stiftungschefs), ganz ordentliche Kabinen eine Etage tiefer (die fest Angestellten) und den ‚Abteilen der dritten Klasse‘ (Teilzeit- und Honorararbeitern, oft befristet, zu finden in Hochschulen, Redaktionen, Abgeordnetenbüros, NGOs, Warteschleifen). Diese ‚Dreiteilung‘ produtiert fast automatisch eine ‚Ökonomie des Verdachts‘, in der es einen ‚inneren Wächter‘ braucht, um die eigenen Worte und Gedanken zu kontrollieren und zugleich jeden Skrupel zu ersticken, wenn es darum geht, einen Konkurrenten als ‚Feind des gerechten Denkens anzuprangern‘.
Parallel zur Akademisierung wurde ein Arbeitsmarkt aus dem Boden gestampft, für den es einen neuen Begriff bräuchte, da er nichts mit Menschen zu tun hat, ‚die morgens früh aufstehen, um mit ihren Händen etwas in der Welt zu bewirken‘, und dies gern tun, weil sie es es können und das Leben so für viele besser machen. In der Logik dieses Kapitels müsste ich von Ideologiebeauftragten sprechen, die haupt- oder ehrenamtlich auf ganz unterschiedlichen Verwaltungsebenen installiert worden sind (wahlweise zuständig für Ausländer, Integration, Diskiminierung, Rassismus, Frauen, Queer, Lesben, Schwule, Inklusion, Antisemitismus, Antiziganismus, Klima, Nachhaltigkeit), ihre Existenz durch Leitmedienpräsens rechtferigen müssen und so in Unternehmen oder Kultur und Bildung Imitationen nach sich ziehen, zum Teil forciert über entsprechende Gesetze. Diese Armee fängt einen Teil der der akademischen Überproduktion auf und kann für den anderen Teil so verlockend sein, dass es sich lohnt, an die offiziellen Narrative anzudocken. Ähnliche Signale senden Förderinitiativen, mit denen EU, Bund, Länder und Konzernstiftungen die Universitäten auf Linie bringen, sowie der NGO-Eisberg mit Organisationen wie das Zentrum Liberalen Moderne oder der Amadeu Antonia Stiftung an der Spitze, die die Regierungsnarrative mit Flak unterstützen. Die nötigen Kampfbegriffe finden sich in Politikerreden und akademischen Texten: Fake News, Hass und Hetze, Verschwörungstheorien, Populismus. Jeder dieser Begriffe ist im öffentlichen Bewusstsein seit Mitte der 2010er Jahre mit einem Warnblinker verknüpft: Achtung ‚die Demokratie‘ ist in Gefahr! Was genau damit gemeint ist, bleibt in aller Regel schon deshalb offen, weil Machtkontrolle sowie die Beteiligung der Vielen an Entscheidungen, die ihr Leben betreffen, die Strahlkraft der ‚Leitidee‘ Demokratie ausmachen und schnell offenkundig werden würde, wie weit weg dieses Ideal von der Lebenswirklichkeit in westlichen Gesellschaften ist. Stattdessen wird die Drohkulisse je nach Kontext mit ‚Rassismus‘ angereichert (USA) oder mit ‚Rechtsextremismus‘ und ‚Antisemitismus‘ (Deutschland).
Wenn ich ganz oben sitzen würde, an den Fleischtöpfen der Macht, würde ich mir die Hände reiben. Gut gelaufen – auch für Konzerne, Finanzindustrie und Vermögensverwalter, die spätestens seit dem Crash von 2008 auf der Suche nach Legitimation waren. DEI (Diversity, Equity, Identity) und ESG (Environmental, Social, Governance) sind viel billiger zu haben als Tarifverträge oder gar Gewerkschaften und für die Talente von morgen zugleich eine Honigfalle: Dieses Unternehmen, liebe Leute, produziert vielleicht Dinge, die die Welt nicht braucht, das alles aber hat einen höheren Sinn. Damit lassen sich nicht nur Bewerber fangen, sondern auch Kunden – zuallererst die nächsten Generationen, die sich selbst einreden, Umwelt und Gerechtigkeit auf dem Schirm zu haben, und sich so nicht nur von ihren Eltern absetzen wollen, sondern auch von der ’stumpfen Unterschicht‘. Die ‚Besessenheit‘, mit der junge und nicht mehr ganz so junge Akademiker und Medienleute nach den Brocken greifen, die ihnen dahingeworfen wurden, ‚funktioniert wie ein riesiger Schild, der die eigentliche Kluft verdeckt‘ – die Klassenlinie, immer schwer zu überschreiten und so zerstörerisch wie nie zuvor. Die da oben sind reaktionär und eine Gefahr für uns alle hier unten? Die ‚Hauptrichtung der Gesellschaftskritik verläuft neuerdings‘ umgekehrt. ‚Für diesen Zaubertrick empfinden die Lenker großer quasimonopolistischer und mit der Politik verflochtener Konglomerate zu Recht eine tiefe Dankbarkeit.‘ Man könnte soger von einer Win-Win-Situation sprechen, da der Verzicht auf jeden Klassenkampf den Status-Quo sichert und dabei auch die eigene Position. Wer sich selbst dafür anklagt, weiß zu sein, westlich und mannchmal auch noch männlich, der muss nicht wirklich etwas tun. All das kann man schließlich nicht ändern. Schuldgefühle kosten nichts. Und: Wenn die Deutungseliten bunter werden, kann man weiter glauben, es aus eigenem Verdienst geschafft zu haben – über Talent, Anstrengung, Intelligenz,. Soziale Ungleichheit verschwindet so aus der Realität von Leitmedien, Wissenschaft und Politik, wird aber in der Wirklichkeit trotzdem immer größer.
Es hat gedauert, bis die neue ‚Rechtfertigungslehre‘ zu einer materiellen Gewalt werden konnte.“
Michael Meyen: Der dressierte Nachwuchs – Was ist mit der Jugend los? S. 36-41, Berlin, 2024