Flucht

Der faulig süße Gestank der Verwesung
Macht sich breit in meinem Kopf.
Betäubt von diesem Geruch
Sind meine Sinne wie gelähmt
Und ich empfinde alles wie durch eine Wand aus Watte –
Unwirklich und weich.
So merke ich nicht,
Daß der Tod uns längst schon ereilt hat,
Daß wir voneinander genommen wurden
Um allein ein Leben zu fristen
Frei von Schmerz und Freude.
Zu lange schon haben wir uns vorgegaukelt,
Daß die Sonne hinter dem Mantel der Nacht emporsteigen wird
Und uns ihr Licht in ein schöneres Morgen führen wird.
Die Nacht ist vorüber
Und die Sonne ist nicht zu sehen –
Dicke Regenwolken verhängen den Himmel
Und das Wasser spült unsere Gefühle fort
Wie ein Gebirgsbach den Schnee im Frühling.
Doch folgt unserem Schmerz nicht das Erblühen
Und die Kraft der Natur,
Sondern der Regen hinterläßt unsere Körper
Als leere Klumpen aus geschmolzener Lust und Fleisch.
Hohl sind wir
Und in uns klingt nur noch das Echo des ersterbenden Gefühls.
Ein Schrei steigt in uns auf,
Doch keiner von uns hört den anderen,
Da der Laut in unserem Kopf alles andere verdeckt
Und so finden wir nicht zueinander,
Sondern gehen allein und zerstört
Durch den Regen davon –
Auf der Suche nach einem warmen Unterschlupf
Mit Feuer und Licht –
Einem Licht das uns erheitert
Und einem Feuer, das uns das Leben zurückgibt.
Doch der Regen vermag nicht alles auszulöschen
Und so vegetiere ich vor mich hin,
Auf der Suche nach dem Feuer und dem Licht.
Doch ich finde nur Finsternis und Feuchtigkeit –
Kälte umschließt mein Herz
Und langsam stirbt die Hoffnung,
Doch die Liebe bleibt
Und ich wünsche mir,
Daß sie davongeweht wird
Von dem Sturm, der durch mein Herz zieht.
Doch sie bleibt,
Beständig, wie die Wellen,
Die ans Ufer schlagen.
Ich verwünsche die Liebe
Und suche sie zu verbannen,
Doch sie ist wie ein Schatten,
Und wann immer ich glaube sie sei gegangen,
Steht sie doch schon wieder hinter mir
Und grinst mich hämisch an.
Verzweifelt bin ich und leer.
Nichts das mir Freude gibt,
Nur Angst, Einsamkeit und Finsternis.
Ich hoffe auf einen Menschen,
Der mich an die Hand nimmt
Und mich aus diesem öden, toten Wald
Ins Licht –
Auf eine bunte, ruhige Wiese im Sonnenschein –
führt.
Doch so lange sterbe ich schon,
So abgestumpft sind meine Sinne
Und so schwer meine Beine,
Daß ich die Erlösung nicht erkenne
Oder auch nicht erreiche.
Gefesselt bin ich an die Frau mit dem Messer,
In Ketten hat sie mich gelegt
Und foltert mich bis zum Letzten.
Tausend Jahre – so kommt es mir vor –
Schlägt sie schon auf mich ein,
Ohne mein Flehen auf Erlösung zu erhören.
Sie tötet mich nicht
Und heilen mag sie mich auch nicht.
Ihr Spielzeug bin ich,
Ausgeliefert wie ein Blatt im Spiel des Windes.
Doch grausamer ist Ihr Spiel –
Langweilig, eintönig und pervers.
Niemand hört mein Gewimmer
Im Dunkel der Nacht
Und so bin ich allein mit meinem Schmerz,
Der Liebe für Sie,
Verdammt und ausgestoßen für alle Zeit –
In Ewigkeit.

(16.05.1991)