Keine Werte für Julian Assange im Werte-Westen

Drei mutigen Menschen verdanken wir das Wissen darüber, was im Werte-Westen passiert, wenn man das Narrativ verläßt und ein anderes Bild des werteorientierten Westens aufzeigt.

Julian Assange:
Julian Assange ist ein australischer Journalist, Publizist und Gründer der Enthüllungsplattform WikiLeaks. Er wurde am 3. Juli 1971 in Townsville, Queensland, Australien, geboren. Assange erlangte internationale Bekanntheit durch die Veröffentlichung von geheimen und sensiblen Informationen von Regierungen, Unternehmen und anderen Organisationen.
Im Jahr 2006 gründete Assange WikiLeaks mit dem Ziel, eine Plattform für anonyme Quellen zu schaffen, um vertrauliche Dokumente und Informationen zu veröffentlichen. Die Organisation hat seitdem eine Vielzahl von Dokumenten veröffentlicht, die verschiedene Themen wie Kriegsführung, Geheimdienstarbeit, politische Korruption und Menschenrechtsverletzungen betreffen.
Assange erregte besonders große Aufmerksamkeit, als WikiLeaks im Jahr 2010 geheime US-Militärdokumente veröffentlichte, die als „Iraq War Logs“ und „Afghan War Diary“ bekannt wurden. Später im selben Jahr veröffentlichte WikiLeaks auch eine große Menge diplomatischer Depeschen, die als „Cablegate“ bekannt wurden.
Im Jahr 2012 floh Assange in die ecuadorianische Botschaft in London und beantragte politisches Asyl, um einer Auslieferung nach Schweden zu entgehen, wo er wegen sexueller Vorwürfe gesucht wurde. Ecuador gewährte ihm politisches Asyl und er lebte mehrere Jahre in der Botschaft. Während seiner Zeit in der Botschaft leiteten die USA eine strafrechtliche Untersuchung gegen ihn ein, insbesondere wegen seiner Rolle bei der Veröffentlichung der geheimen US-Dokumente.Im April 2019 wurde Assange von der ecuadorianischen Botschaft ausgewiesen und von der britischen Polizei festgenommen. Seitdem befindet er sich in London in Haft und wartet auf verschiedene rechtliche Verfahren, darunter eine Auslieferungsanfrage der USA. Die US-Regierung wirft ihm vor, den Computerhacker Chelsea Manning unterstützt zu haben, um geheimes Material zu stehlen und zu veröffentlichen. Seine rechtliche Situation bleibt umstritten und hat eine internationale Debatte über Pressefreiheit, Regierungstransparenz und die Rolle von Whistleblowern ausgelöst.

Chelsea Manning:
Chelsea Manning ist eine ehemalige US Army Intelligence-Analystin, die im Jahr 2010 erhebliche Aufmerksamkeit erlangte, nachdem sie klassifizierte Dokumente an WikiLeaks weitergegeben hatte. Zu dieser Zeit war sie als Bradley Manning bekannt, aber später vollzog sie eine Geschlechtsumwandlung und änderte ihren Namen in Chelsea Manning.
Im Jahr 2013 wurde Manning wegen mehrerer Anklagepunkte im Zusammenhang mit dem Datenleck, einschließlich Verstößen gegen den Espionage Act, schuldig gesprochen und zu einer 35-jährigen Haftstrafe verurteilt.2017 wurde sie von dem damaligen US-Präsidenten Barack Obama begnadigt freigelassen.
Mannings Enthüllungen waren eine der bedeutendsten Verletzungen von klassifizierten Informationen in der Geschichte der USA und umfassten militärische und diplomatische Dokumente, von denen viele Menschenrechtsverletzungen und kontroverse Aktionen der US-Regierung und des Militärs aufdeckten. Ihre Handlungen lösten Debatten über Regierungstransparenz, das Whistleblowing und das Gleichgewicht zwischen nationaler Sicherheit und individueller Informationsfreiheit aus.

Edward Snowden:
Edward Snowden ist ein ehemaliger US-amerikanischer Geheimdienstmitarbeiter und Whistleblower, der international bekannt wurde, als er im Jahr 2013 vertrauliche Informationen über weitreichende Überwachungsprogramme der US-Regierung und anderer Geheimdienste enthüllte. Zu dieser Zeit arbeitete er als Systemadministrator für das Unternehmen Booz Allen Hamilton im Auftrag der National Security Agency (NSA).
Snowdens Enthüllungen umfassten zahlreiche Dokumente, die der Öffentlichkeit und den Medien zugänglich gemacht wurden und Details über die umfangreichen Massenüberwachungsaktivitäten der NSA und anderer Geheimdienste enthüllten. Insbesondere wurde bekannt, dass die NSA in großem Umfang Telefondaten und Internetkommunikation von US-Bürgern und Menschen auf der ganzen Welt sammelte, ohne angemessene rechtliche und demokratische Kontrolle.
Nach seinen Enthüllungen floh Edward Snowden zunächst nach Hongkong und dann nach Russland, um einer strafrechtlichen Verfolgung durch die USA zu entgehen. Die US-Regierung erhob Anklage gegen ihn wegen Diebstahls von Regierungseigentum und Verletzung des Spionagegesetzes. Snowden erhielt Asyl in Russland und lebt seitdem dort.

 

Erkenntnisse des UNO-Sonderermittlers für Folter – Nils Melzer

Bei der Auseinandersetzung mit dem Fall Julian Assange kommt Nils Melzer zu folgenden Erkenntnissen über die Reichweite und den Schutz unserer Werte im werteorientierten Westen. So lange man ruhig und beschaulich lebt und der Regierung und deren Experten folgt, ist alles gut. Schaut man aber hinter das von der Regierung und den Staatsmedien aufgezeigt Bild der „Wirklichkeit“, ist es vorbei mit den westlichen Werten und der Abweichler wird zur Persona non grata erklärt. Hierbei arbeiten Regierungsstellen und Medien Hand in Hand.

„… Selbstzensur, vorauseilender Gehorsam und wirtschaftliche Sachzwänge [veranlassen] viele Medienhäuser zu einer geglätteten Berichterstattung im Sinne eines allgemein akzeptierten Konsenses …“ 1

Nun könnte man meinen, dass wir trotz allem ja durch die Gewaltenteilung geschütz seien und die Macht im Staate von uns als Souverän ausginge und wir diese Macht durch demokratisch gewählte Abgeordnete im Sinne unserer Interesses vertreten sehen. Nils Melzer sieht dies wie folgt:

„… selbst wenn wir das Glück haben, in einer Demeokratie zu leben, sind die demokratischen Wahl- und Legislativprozesse durch Kampagnenfinanzierung und Lobbying bereits so stark verzerrt, dass die legitimen Interessen des eigentlichen Stimmvolkes kaum mehr wirklich vertreten werden. Die Rechtsstaatlichkeit wiederum funktioniert nur, wenn das Gesetz von der Justiz wirklich unabhängig und unparteiisch zur Kontrolle der Exekutive angewandt wird. In Wirklichkeit sind die Gräben zwischen den drei Staatsgewalten jedoch überall viel weniger tief als diejenigen zwischen den Behörden aller drei Gewalten und der Öffentlichkeit. Man kennt sich persönlich, geht zusamen essen, legt Wert auf gute Zusammenarbeit, konsultiert und orientiert informell, fällt sich nicht gegenseitig in den Rücken – so wie sich anständige Menschen eben benehmen. Doch damit ist in der Praxis die gegenseitige Unvoreingenommenheit bereits weitgehend aufgehoben. Das spielt in alltäglichen Amtshandlungen zwar kaum eine Rolle und kann durchaus sogar hilfreich sein, um bürokratische Schwerfälligkeit zu vermeiden. Sobald jedoch sicherheits- und wirtschaftspolitische Interessen einflussreicher Kreise involviert sind, führt dies fast immer zu Kollusion, Rechtsverbiegung und Systemversagen, bis hin zu den schlimmsten Verbrechen – die ‚Banalität des Bösen‘, wie es Hannah Arendt so treffend ausgedrückt hat.“2

„Tatsächlich verfolgen Regierungen immer politische Interessen, und diese bestehen nicht primär in der Einhaltung der Menschenrechte, sondern in der Durchsetzung sicherheits-, wirtschafts- und parteipolitischen Interessen. Wie ich über Jahre schmerzhaft lernen musste, können Menschenrechte zwar durchaus auf der offiziellen politischen Agenda stehen, doch dient dies fast immer als Mittel zur Erreichung anderer Zwecke: von der internationalen Reputationspflege über die Erlangung von Wirtschaftshilfe bis hin zur Rechtfertigung einer Militärintervention.“3

Bei der juristischen Verfolgung von Abweichlern zeigt sich folgendes:

„Gerade auch reife Demokratien, die stolz auf ihre rechtsstaatlichen Traditionen verweisen, nehmen es mit den Menschenrechten plötzlich nicht mehr so genau, wenn es darum geht, ‚essentielle‘ wirtschafts- und sicherheitspolitische Interessen zu schützen.“4

Chelsea Manning und Edward Snowden sind amerikanische Staatsbürger, die Staatsgeheimnisse der USA an die Weltöffentlichkeit verraten haben. Sie haben somit gegen amerikanisches Recht verstoßen. Julian Assange aber ist Australier, der ihm zugespielte Dokumente als Journalist veröffentlicht hat.

„Je länger ich mich mit dem Fall [Assange] befasste, desto stärker wurde mir bewusst, dass hier weit mehr auf dem Spiel stand. Mit ihm drohte auch der investigative Journalismus als solcher auf der Anklagebank zu landen. Eine Frage von großer gesellschaftlicher Bedeutung.“5

Nils Melzer zieht ein Interview mit James Goodale, dem ehemaligen Rechtsabteilungsleiter der New York Times zu rate:

„Welche Auswirkungen würde eine strafrechtliche Verfolgung  von Assange durch die US-Behörden auf die Pressefreiheit haben, die vom Ersten Zusatzartikel der amerikanischen Verfassung garantiert wird? Goodale wusste, wovon er sprach. Er war schon 1971, als seine Zeitung mit den sogenannten ‚Pentagon Papers‘ geheime Dokumente über den Vietnamkrieg publiziert hatte, ein engagierter und erfolgreicher Streiter gegen die damals versuchte Kriminalisierung journalistischer Tätigkeit durch den US-amerikanischen Espionage Act gewesen. Goodale stellt klar: Was auch immer Assange via WikiLeaks publiziert hatte und aus welchen Quellen das Material auch stammte – er war der Veröffentlicher, nicht die Quelle dieses Materials und hatte dieses auch nicht gestohlen, sondern von willigen Quellen erhalten. Sein Vorgehen sei daher von der Verfassung geschützt. Werde er dennoch strafrechtlich verfolgt, würde das unabsehbare Konsequenzen für die journalistische Arbeit zu Folge haben. Dann könnte jede Enthüllungsstory, die auf geleaktem Material basierte, künftig ein Fall für den Strafrichter sein. Die daraus resultierende Gefahr für Journalisten könne man gar nicht hoch genug einschätzen.“6

Julian Assange lief nach der Verhaftung durch die Briten Gefahr, an die Amerikaner ausgeliefert und angeklagt zu werden, um dann für alle Zeit im Knast zu verschwinden. Dazu schreibt Melzer:

„Der Fall Assange berührt mein Mandat in dreifacher Hinsicht. Erstens haben die involvierten Staaten Assange, wie gesagt, jahrelang systematisch Misshandlungen ausgesetzt, welche nur als psychische Folter bezeichnet werden können. Zweitens besteht ein großes Risiko, dass er an die USA augeliefert und dort unter Bedingungen inhaftiert wird, die nicht nur meine Mandatsvorgänger und ich , sondern auch Amnasty International und viele andere Menschenrechtsorganisationen immer wieder als grausam, unmenschlich und entwürdigend bezeichnet haben. Und drittens hat Assange über WikiLeaks Beweise für staatlich sanktionierte Kriegsverbrechen, darunter auch Folter, publiziert. Doch nicht die Folterer werden verfolgt, sondern Assange. Rechtlich gesehen verletzt die bewusste Durchsetztung von Straffreiheit für Folterer durch die US-Regierung nicht nur die UNO-Antifolterkonvention und das Krigsvölkerrecht, sondern stellt nach den Nürnberger Prinzipien sogar ein eigenständiges Kriegsverbrechen seitens der verantwortlichen Regierungsmitgliedern dar.“7

Dabei befürchtete Melzer folgendes:

„In diesem frühen Stadium galt meine Hauptsorge einer möglichen Auslieferung Assanges an die USA. Sei es direkt durch die Ecuadorianer oder, nach Ausweisung aus der Botschaft, in einem britischen Schnellverfahren. Die extraordinary renditions der CIA, mit welchen Menschen ohne jedes rechtsstaatliche Verfahren gekidnappt und dann in geheimen black sites rund um den Globus festgehalten und gefoltert wurden, lagen noch in unangenehmer Erinnerung.“8

Durch den Gang an die Öffentlichkeit brach Melzer mit seinem Systemvertrauen, so schreibt er:

„Mit meinem Vertrauen in die westlichen Demokratien als funktionierende Rechtsstaaten, die zwar durchaus Menschenrechtsverletzungen und sogar Kriegsverbrechen begehen konnten, mit deren Behörden man dies aber offen ansprechen und Lösungen finden konnte, zumindest, wenn die Beweislage eindeutig war. In meinem Einsatz gegen Folter und Misshandlungen hatte ich diese Regierungen stets als Verbündete betrachtet. Dass ich nun grundlegende Werte wie Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte plötzlich mit dem Rücken zur Wand genau gegenüber diesen reifen Demokratien verteidigen musste, stellte mein bisheriges Weltbild ernsthaft infrage und zwang mich zum umdenken.“9

Alle Zitate stammen aus:

Nils Melzer: Der Fall Julian Assange – Geschichte einer Verfolgung. München, 2021

  1. S. 29
  2. S. 44
  3. S. 72
  4. S. 27
  5. S. 54
  6. S. 52f.
  7. S. 113
  8. S. 53
  9. S. 115